... salut de nouveau

Wieder auf Reisen.
Du fragst oft nach mir.
Ich telephonier
noch vorm Zubettgehen mit dir.


Freu mich auf den Moment,
wenn ich steh in der Tür,

und du läufst mir jauchzend entgegen.

...

Und dann öffne ich meine Arme für dich.
Ja, dann öffne ich meine Arme für dich!


Dann öffne ich meine Arme, Gerhard Schöne (1992)


Dienstag, 6. Oktober 2015

Der alte Professor

Ich fragte ihn nach jener Zeit, 
als wir noch jung waren, 
naiv, hitzig, dumm, unfertig.

Ein bißchen ist davon noch übrig, abgesehen von der Jugend, 
sagte er. 

Ich fragte ihn, ob er immer noch ganz genau wisse,
was für die Menschheit gut und was schlecht ist. 

Das ist die tödlichste aller Illusionen,
sagte er.

Ich fragte ihn nach der Zukunft, 
ob er sie weiterhin rosig sehe.

Dafür habe ich zu viele Geschichtsbücher gelesen,
sagte er. 

Ich fragte ihn nach dem Foto,
dem gerahmten, auf dem Schreibtisch.

Alles längst vorbei. Bruder, Cousin, Schwägerin,
meine Frau, auf dem Schoß der Tochter die Tochter,
auf dem Arm der Tochter die Katze,
der blühende Kirschbaum, und über dem Baum 
fliegt ein nicht identifizierter Vogel,
sagte er.

Ich fragte ihn, ob er manchmal glücklich sei.

Ich arbeite,
sagte er. 

Ich fragte nach Freunden, ob er noch welche habe.

Einige meiner früheren Assistenten,
die ebenfalls schon frühere Assistenten haben, 
Frau Ludmila, die den Haushalt führt,
jemand, der mir nahesteht, aber im Ausland,
zwei Damen in der Bibliothek, beide mit einem Lächeln,
der kleine Grzes von gegenüber und Marc Aurel,
sagte er.

Ich fragte nach seiner Gesundheit und seinem Befinden.

Sie verbieten mir Kaffee, Wodka, Zigaretten,
das Tragen schwerer Erinnerungen und Lasten.
Ich muß so tun, als hörte ich es nicht,
sagte er. 

Ich fragte nach dem Garten und der Bank im Garten.

Wenn der  Abend schön ist, beobachte ich den Himmel.
Ich muß immer wieder staunen,
wie viele Blickpunkte es dort gibt. 

Wisława Szymborska
aus: Glückliche Liebe und andere Gedichte, Berlin 2014, Suhrkamp