... salut de nouveau

Wieder auf Reisen.
Du fragst oft nach mir.
Ich telephonier
noch vorm Zubettgehen mit dir.


Freu mich auf den Moment,
wenn ich steh in der Tür,

und du läufst mir jauchzend entgegen.

...

Und dann öffne ich meine Arme für dich.
Ja, dann öffne ich meine Arme für dich!


Dann öffne ich meine Arme, Gerhard Schöne (1992)


Mittwoch, 22. August 2012

Weiße Nächte [1]



   Ich kehrte erst sehr spät in die Stadt zurück, und es schlug bereits zehn, als ich mich meiner Wohnung näherte. Mein Weg führte mich am Kai des Kanals entlang, wo man um diese Stunde keiner Menschenseele begegnet. Es ist wahr, ich wohne in einem weit abgelegenen Stadtteile. Ich ging und sang; denn wenn ich glücklich bin, summe ich unbedingt etwas vor mich hin, wie das jeder glückliche Mensch tut, der keine Freunde und keine guten Bekannten besitzt und in Augenblicken der Freude niemanden hat, mit dem er seine Freude teilen könnte. Auf einmal stieß mir ein ganz unerwartetes Abenteuer zu.
   Zur Seite, an das Geländer des Kanals gelehnt, stand eine weibliche Gestalt; mit dem Ellbogen auf das Gitter gestützt, blickte sie anscheinend sehr aufmerksam auf das trübe Wasser. Sie trug ein allerliebstes gelbes Hütchen und eine kokette schwarze Mantille. "Das ist ein junges Mädchen, und gewiss eine Brünette.", dachte ich. Sie schien meine Schritte nicht zu hören und rührte sich nicht einmal, als ich mit angehaltenem Atem und stark pochendem Herzen vorbeiging. "Seltsam!", dachte ich; "gewiss ist sie tief in irgendwelche Gedanken versunken"; aber plötzlich blieb ich wie angewurzelt stehen. Ich hörte ein dumpfes Schluchzen. Ja! Ich hatte mich nicht geirrt: Das junge Mädchen weinte, und einen Augenblick darauf wiederholte sich das Schluchzen mehrmals. Mein Gott! Mein Herz zog sich krampfhaft zusammen. Und wie schüchtern ich auch sonst dem weiblichen Geschlechte gegenüber bin, so war dies doch ein derartiger Augenblick, dass mich meine Schüchternheit verließ. Ich wandte mich um, trat zu ihr hin und hätte zweifellos mit den Worten "Meine Gnädige!" begonnen, wenn ich nicht gewusst hätte, dass diese Anrede schon tausendmal in allen russischen Romanen vorgekommen ist, die in der vornehmen Welt spielen. Dies allein war's, was mir die Zunge lähmte. Aber während ich nach einem Worte suchte, kam das Mädchen aus ihrer Versunkenheit wieder zu sich, blickte um sich, wurde sich ihrer Lage bewusst, schlug die Augen nieder, schlüpfte an mir vorbei und eilte am Gitter entlang. Ich ging sogleich hinter ihr her; aber sie merkte es, verließ die Uferseite, ging quer über die Straße  und setzte dort ihren Weg auf dem Trottoir fort. Ich wagte nicht, ebenfalls die Straße zu überschreiten. Mein Herz schlug so heftig wie das eines gefangenen Vögelchens.

Fjodor Dostojewski, Weiße Nächte, Anaconda Verlag, 2007, Köln