... salut de nouveau

Wieder auf Reisen.
Du fragst oft nach mir.
Ich telephonier
noch vorm Zubettgehen mit dir.


Freu mich auf den Moment,
wenn ich steh in der Tür,

und du läufst mir jauchzend entgegen.

...

Und dann öffne ich meine Arme für dich.
Ja, dann öffne ich meine Arme für dich!


Dann öffne ich meine Arme, Gerhard Schöne (1992)


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Sonntag, 19. März 2017

Unaufmerksamkeit


Gestern betrug ich mich schlecht im Kosmos.
Den ganzen Tag lebte ich, ohne zu fragen, 
ohne mich über etwas zu wundern.

Ich verrichtete die alltäglichen Dinge,
als wäre das alles, was ich zu tun habe.

Einatmen, Ausatmen, Schritt für Schritt, Pflichten,
aber ohne einen Gedanken, der weiter reichte
als zum Verlassen des Hauses und zur Rückkehr,

Die Welt hätte als verrückte Welt wahrgenommen werden können,
aber ich nahm sie nur für den täglichen Bedarf.

Weder »wie« noch »warum«,
woher sie eigentlich kommt
und wozu sie so viele lebhafte Details braucht.

Ich war wie ein zu flach in die Wand geschlagener Nagel
oder
(hier ein Vergleich, der mir fehlte).

Eine Veränderung nach der anderen vollzog sich
selbst im beschränkten Feld eines Augenblicks.

Am jüngeren Tisch, mit der um einen Tag jüngeren Hand,
wurde das gestrige Brot anders geschnitten.

Die Wolken wie nie und der Regen wie nie,
fiel er doch in anderen Tropfen.

Die Erde drehte sich um ihre Achse,
aber in einem jetzt für immer verlassenen Raum.

Das dauerte gut vierundzwanzig Stunden.
1440 Minuten Gelegenheit.
86 400 Sekunden zur Einsicht.

Das kosmische
Savoir-vivre
wenn es auch über uns schweigt,
so verlangt es doch etwas von uns:
ein wenig Aufmerksamkeit, ein paar Sätze Pascal
und unsere verwunderte Teilnahme an diesem Spiel
mit unbekannten Regeln.

Wisława Szymborska

Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall.
Aus: Glückliche Liebe und andere Gedichte. Berlin: Suhrkamp Verlag 2012.



Samstag, 18. März 2017

Schrecklicher Traum eines Dichters


Stell dir vor, was ich geträumt habe.
Scheinbar alles genau wie bei uns.
Boden unter den Füßen, Wasser, Feuer, Luft,
Vertikale, Horizontale, Dreieck, Kreis,
linke und rechte Seite.
Das Wetter erträglich, die Landschaft nicht schlecht
und eine Menge mit Sprache begabter Wesen.
Doch ihre Sprache anders als auf der Erde.

In den Sätzen herrscht die Wirklichkeitsform.
Die Namen decken sich exakt mit den Dingen.
Nichts hinzuzufügen, nichts wegzunehmen, zu ändern oder umzustellen.

Die Zeit ist immer die auf der Uhr.
Vergangenheit und Zukunft haben engen Spielraum.
Für Erinnerungen eine einzige vergangene Sekunde,
für Vorhersagen eine zweite,
die soeben beginnt.

Worte - nur die nötigsten. Nie eins zuviel,
und das bedeutet - keine Poesie,
keine Philosophie und keine Religion.
Solcher Unfug kommt dort nicht in Frage.

Nichts, was man sich nur vorstellen
oder mit geschlossenen Augen sehen kann.

Wenn man sucht, dann das, was auf der Hand liegt.
Wenn man fragt, dann danach, worauf es eine Antwort gibt.
Sie würden sich sehr wundern,
wenn sie sich wundern könnten,
daß es irgendwo Gründe zum Wundern gibt.

Das Stichwort »Unruhe« gilt bei ihnen als obszön,
es hätte nicht den Mut, sich im Wörterbuch zu finden.

Die Welt erscheint klar
selbst bei tiefster Dunkelheit.

Sie wird jedem gewährt, zu erschwinglichem Preis.
Niemand verlangt an der Kasse den Rest.

Aus Gefühlen: Befriedigung. Und nichts in Klammern.
Leben mit einem Punkt am Ende. Und das Dröhnen der Galaxien,

Gib zu, etwas Schlimmeres
kann dem Dichter nicht passieren.
Und dann nichts Besseres
als schnell aufzuwachen.

Wisława Szymborska

Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall.
Aus: Glückliche Liebe und andere Gedichte. Berlin: Suhrkamp Verlag 2012.