... salut de nouveau

Wieder auf Reisen.
Du fragst oft nach mir.
Ich telephonier
noch vorm Zubettgehen mit dir.


Freu mich auf den Moment,
wenn ich steh in der Tür,

und du läufst mir jauchzend entgegen.

...

Und dann öffne ich meine Arme für dich.
Ja, dann öffne ich meine Arme für dich!


Dann öffne ich meine Arme, Gerhard Schöne (1992)


Donnerstag, 31. Mai 2012

Mein Dorf am Ende der Welt



Am Bahndamm entlang bis zur Brombeerhecke
Über den holprigen Bahnübergang:
Meine geheimen Höhlen und Verstecke,
Die ganze Welt lag an dem Schienenstrang.
Es tut mir gut, all das wiederzusehen!
Was ist es, das uns fortzugehen drängt?
Ich glaub', man braucht die Ferne, um zu sehen,
Daß auch der ewig Suchende am Wohlvertrauten hängt.
Die wohlvertraute Dämmerung sinkt nieder,
Und feiner, dünner Nieselregen fällt
Auf schimmernden Basalt. Da bin ich wieder,
Mein graues Dorf am Ende der Welt!

Die Jungen steh'n in der Bushaltestelle,
Noch immer Treffpunkt Regenunterstand
Der einz'ge Zufluchtort für alle Fälle.
Jeder malt sein SOS an die Wand.
Die Alten steh'n mit steinernen Fassaden
Im Ausschrank hinter der Papierfabrik
Und aus der offnen Kneipentür zieh'n Schwaden
Von Dunst und gelbem Licht und ewig gestriger Musik.
Da steh'n sie, um nicht allein zu versinken,
Mancher, weil ihm das Leben zu schwer fällt
Und mancher, um es sich leichter zu trinken
In meinem Dorf am Ende der Welt.

Ein rauher Alltag zeichnet die Gesichter
Und Haus- und Feld- und Untertagarbeit.
Aber er setzt in ihre Augen Lichter
Von Wärme und echter Herzlichkeit.
Sie sind es, die mich an diesen Ort binden,
Sie machen einen noblen Platz daraus!
Heimat ist immer, wo wir Freunde finden.
Wo immer jemand auf dich wartet, da ist Zuhaus'!
Und Glück, wenn jemand nach all deinen Wegen
Ein Licht für dich ins dunkle Fenster stellt.
Heut nacht kann ich mein Bündel niederlegen
In meinem Dorf am Ende der Welt.

Reinhard Mey



Mittwoch, 30. Mai 2012

Firebird


Firebird come into me tonight
Stay awake with me through this dark night
We can ride til the morning light
On a bicycle made for two
On a bicycle made for two

Hush for the baby he's asleep in the hay
And if we should wake him we'll be turned stony grey
Silence is golden and it's ours today
On a bicycle made for two
On a bicycle made for two

Some come higher, some come low
Some come demon-faced, some come slow
Some come beautiful, helpless and warm
like the first drop of water after the storm

Firebird stay with me tonight
All the world is asleep
The world is alright
And as long as you're mine we can conquer light
On a bicycle made for two
On a bicycle made for two

Fyfe Dangerfield 

http://www.youtube.com/watch?feature=CAGH3lU 


Dienstag, 29. Mai 2012

Gracious























How would you know?
When everything around you's changing like the weather,
A big black storm.
And where'd you turn to?
Or hide a ghost, a shadow at the most, would you let me know?
Cause I don't want to,
To trouble your mind with the childish design of how it all should go.
But I love you so,
When it all comes clear, when the wind is settled, I'll be here, you know.

Cause you said ours were the lighthouse towers
The sand upon that place
Darling I'll grow weary, happy still
With just the memory of your face

Gracious goes the ghost of you
And I will never forget the plans and the
Silhouettes you drew here and
Gracious goes the ghost of you
My dear

How would you know?
When everything around you's bruised and battered
Like the cold night storm.
And where would you turn to?
Or hide a ghost, a shadow at the most, would you tell me so?
Cause I, I adore you so
When it all comes clear, the wind is settled, I'll be here, you know.

Cause you said ours were the lighthouse towers
The sand upon that place
Darling I'll grow weary, happy still
With just the memory of your face

Gracious goes the ghost of you
And I will never forget the plans and the
Silhouettes you drew here and
Gracious goes the ghost of you
My dear

Gracious goes the ghost of you
And I will never forget the plans and the
Silhouettes you drew here and
Gracious goes the ghost of you
My dear

Ben Howard


Montag, 28. Mai 2012

Nach einem Märchen





...da sagte der Frosch zu der hübschen Prinzessin:
"Wir können heiraten, ich bin ein verzauberter Prinz!"
   Sie heirateten, aber er blieb ein Frosch.
   Sein und ihr ganzes Leben lang.

Assen Assenov, Don Quichotte in der Stadt. Geschichten, München, 1986, List

http://www.youtube.com/OpYKtirbA7E&NR=1

Sonntag, 27. Mai 2012

Dooi / Das Mädchen, das vom Himmel fiel


Plötzlich ist sie da.
   Sie kommt über die Eisfläche gelaufen, die gerade noch so leer und verlassen wirkte wie eine Eisfläche im späten Pleistozän, auch wenn man damals keinen Sendemast am Horizont gesehen hätte. Sie ist ganz in Schwarz gekleidet: Hose, Jacke, Schlittschuhstiefel, Handschuhe, Pudelmütze. Lange Beine, lange Schwünge, sie kommt ziemlich schnell voran, und doch scheint sie mit fast behaglicher Trägheit übers Eis zu gleiten. Wer so weit von der bewohnten Welt entfernt ist, muss schon länger unterwegs sein, aber das merkt man ihr nicht an. Es sieht aus, als drehe sie eine Runde auf der Eisbahn im Park. Ihr leicht gebogener Rücken, ihr geschmeidiger Rhythmus verraten keine Müdigkeit. Als wäre sie direkt vom Himmel gefallen.
   Nun lässt sie die Bewegung ausklingen und dreht einen Halbkreis. Sie steht still und schaut ein Weilchen auf einen Punkt in der Ferne. Eis und Himmel spiegeln sich in ihren hellen grauen Augen. Weit weg ist eine kleine Insel zu sehen, unbewohnt, nur ein paat Bäume und Sträucher drauf, und davor liegt ein Schiff im Eis, ein Zweimaster. Schwarz heben sich sein einsamer Rumpf und die kahlen Masten vom Himmel ab. Ein einzelnes Boot in dieser Verlassenheit.
   Sie stößt sich ab und läuft zurück, wie sie gekommen ist, locker, graziös, ohne Eile und doch schnell. Gerade ist das schwarze Figürchen noch auf der Eisfläche zu sehen, und dann so plötzlich verschwunden, wie es aufgetaucht war. Aufgelöst in nichts.

Rascha Peper, Das Mädchen, das vom Himmel fiel, Frankfurt am Main, 2002, Büchergilde Gutenberg

Samstag, 26. Mai 2012

Kommendes


Während ich marschiere, den Tornister auf dem Rücken, den Kopf gesenkt, sehe ich am Rand der Straße in den klaren Regenpfützen das Bild der hellen seidenen Bäume, und es ist in diesem zufälligen Spiegel stärker als in Wirklichkeit. Eingebettet in den braunen Boden liegt da ein Stück Himmel, Bäume, Tiefe und Klarheit, und ich erschauere plötzlich. Zum erstenmal seit langer Zeit fühle ich wieder, daß etwas schön ist, daß dieses hier einfach schön ist, schön und rein, dieses Bild in der Wasserlache vor mir - und in diesem Erschauern steigt mir das Herz hoch, alles fällt für diesen Augenblick ab, und jetzt spüre ich es zum ersten Male: Frieden - sehe es: Frieden - empfinde es ganz: Frieden. Der Druck weicht, der nichts freigab bisher, ein Unbekanntes, Neues fliegt auf, Möwe, weiße Möwe Frieden, zitternder Horizont, zitternde Erwartung, erster Blick, Ahnung, Hoffnung, Schwellendes, Kommendes: Frieden.
    Ich schrecke auf und blicke mich um; dahinten liegen nun meine Kameraden auf den Tragbahren und rufen immer noch. Es ist Frieden, und sie müssen trotzdem sterben. Ich aber bebe vor Freude und schäme mich nicht. Sonderbar ist das...
    Vielleicht ist nur deshalb immer wieder Krieg, weil der eine nie ganz empfinden kann, was der andere leidet.

Erich Maria Remarque, Der Weg zurück, Berlin, 1988, Aufbau Verlag

http://www.youtube.com/watch?v=GICLQwmrOW4

Freitag, 25. Mai 2012

Zu hell für die Nacht

Wenn sich das innere Licht im Ich bricht
kann man die Seele nicht sehen
aber es funkelt schön
und wer geblendet wird verliert
Wenn du sagst, was dich bewegt
dann ist das wie ein Fleck aus Licht
der im Raum schwebt
und wir wissen, die Katze und ich
Lichtflecken fängt man nicht

Es ist viel zu hell für die Nacht
und ich fühl nicht mehr
ob ich müde werd' oder wach
wie Fahrstühle fahren und man nicht versteht
ob es runter geht
oder rauf auf's Dach

Die Augen des anderen
sind das einzige worin man sich spiegeln kann
und sich trotzdem liebt
weil man nicht nur sich selber sieht
dieses Zimmer ist still
und es herrscht Ruhe im Treppenhaus
so sieht's aus
Ich kann nicht schlafen
du hast das Licht angelassen

Wolfgang Müller



Donnerstag, 24. Mai 2012

Black flies

Black flies on the windowsill
That we are
That we are
That we are to know
Winter stole summer's thrill
And the river's cracked and cold

See the sky is no man's land
A darkened plume to stay
Hope here needs a humble hand
Not a fox found in your place

No man is an island, this I know
But can't you see?
Maybe you were the ocean when I was just a stone

Black flies on the windowsill
That we are
That we are
That we are to hold
Comfort came against my will
And every story must grow old

Still I'll be a traveller
A gypsy's reins to face
But the road is wearier
With that fool found in your place

No man is an island, this I know
But can't you see?
Maybe you were the ocean when I was just a stone
Ben Howard

Mittwoch, 23. Mai 2012

Sables mouvants


Démons et merveilles
Vents et marées
Au loin déjà la mer s'est retirée
Et toi
Comme une algue doucement caressée par le vent
Dans les sables du lit tu remues en rêvant
Démons et merveilles
Vents et marées
Au loin déjà la mer s'est retirée
Mais dans tes yeux entrouverts
Deux petites vagues sont restées
Démons et merveilles
Vents et marées
Deux petites vagues pour me noyer.
Jacques Prévert

Dienstag, 22. Mai 2012

THE THOUGHT FOX

I imagine this midnight moment's forest:
Something else is alive
Beside the clock's loneliness
And this blank page where my fingers move.

Though the window I see no star:
Something more near

Though deeper with darkness
Is entering the loneliness:

Cold, delicately as the dark snow,
A fox's nose touches twig, leaf;
Two eyes serve a movement, that now
And again now, and now, and now

Sets neat prints into the snow
Between trees, and warily a lame
Shadows lags stump and in hollow
Of a body that is bold to come

Across clearings, an eye,
A widening deepening greenness,
Brilliantly, concentratedly
Coming about its own business

Till, with a sudden sharp hot stink of fox
It enters the dark hole of the head.
The window is starless still; the clock ticks,
The page is printed.

Ted Hughes



Montag, 21. Mai 2012

Jede Zeit ist meine Zeit


Ein Mann schleppt sich müden Schrittes die Landstraße entlang. Keuchend, nach Atem ringend, bleibt er stehen, dann bricht er zusammen unter der Last seines schweren Rucksackes.
Aus dem Morgennebel tritt eine Frau auf ihn zu: “Was hast Du? Warum stehst Du nicht auf?”
“Ich kann nicht”, stöhnt der Mann, “die Last meines Rucksackes erdrückt mich.”
“Dann laß ihn liegen, und geh weiter.”
“Das kann ich nicht”, jammert der Mann, “in ihm steckt mein Leben, meine Zeit.”
Die Frau schüttelt den Kopf: “Sieh nur, was Du dir antust, wie Du daliegst, nennst Du das Leben? Öffne den Rucksack, und sieh Dir Deine Zeit an, deren Sklave Du geworden bist.”
Der Mann tut, was ihm die Frau befiehlt. Der Rucksack ist voller Pakete, viele schon total zerfleddert, dennoch fest verschnürt. Mit einer großen Schere schneidet die Frau die Schnüre auf: “Schau, schau nur hin, was du mit Dir herumschleppst! Lohnt sich diese Last?”
Da liegt es vor dem Mann: vergangenes, gewesenes, vergilbtes Leben. Der frische Morgenwind treibt den zerbröckelten Inhalt des Rucksacks vor sich her, weiter, immer weiter, bis er sich in der Ferne in Staub auflöst.
Der Mann erhebt sich, dehnt seine Schultern und merkt, wie sie breit und stark werden. Und setzt seinen Weg fort.
“Ja”, ruft die Frau, “geh nur – geh weiter! Es gibt noch viel für Dich zu tun. Denn jede Zeit ist Deine Zeit.


Lotti Huber

Sonntag, 20. Mai 2012

...

Zum vierten Male teilst du mir mit
Daß du alle Brücken hinter dir verbrannt hast
Alle Briefe vernichtet, alle Behauptungen zurückgenommen hast
Dich in einem Taumel des Neuen befindest und
Diesmal endgültig.
Lieber hätte ich von dir gehört, du seist
Neuem auf der Spur, brauchtest aber Zeit
Seist gut gelaunt und freuest dich
Deiner guten Beziehungen.
Denn so sehe ich dich nur bald wieder
Am Bau neuer Brücken, Sammeln von Briefen und Aufstellen von Behauptungen
Müdigkeit des Alten, und wieder nicht endgültig.

Bertolt Brecht





Samstag, 19. Mai 2012

Die Nichtnure


Nicht nur die Zeitungen
nicht nur die Stimmen aus Galle
und Angst
und nicht nur
der Wettlauf mit der Post
die Rechnungen bringt
Nachrichten
traurige Briefe

Nicht nur die Abwehr
der täglichen Gemeinheit
nicht nur die Sorge
und nicht nur die Trauer
und nicht nur das Mitleid
nicht nur die notgetaufte Hoffnung
und der geschlachtete  Glaube
an eine bessere Welt

Erst auf der anderen Seite der Nure
beginnt das Leben
Dort geht die Liebe
durch wirkliche Jahreszeiten
dort werden die Farben bunt
und die Geräusche
beinahe verständlich
und man kann Atem holen
und alles
spüren und fühlen

Aber ich bin erschöpft
von den Zeitungen
und von den Stimmen
und von dem Wettlauf mit diesen Nuren
in denen mein eines
Leben vergeht
ohne dich

Erich Fried


Freitag, 18. Mai 2012

Blaupause






Schlaflos im Fenster die Nacht
Fragt wozu das Ganze
Weil ich die Antwort nicht weiß
Das Dunkel lässt nicht mit sich reden
Geh ich zurück in den Schlaf
Der Morgen vielleicht weiß es anders

Heiner Müller










Donnerstag, 17. Mai 2012

[Schweigen]


Schweigen schweigen schweigen
schweigen schweigen schweigen
schweigen                   schweigen
schweigen schweigen schweigen
schweigen schweigen schweigen

Eugen Gomringer






Mittwoch, 16. Mai 2012

Corona




Aus der Hand frißt der Herbst mir sein Blatt: wir sind Freunde.
Wir schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehen:
die Zeit kehrt zurück in die Schale.

Im Spiegel ist Sonntag,
im Traum wird geschlafen,
der Mund redet wahr.

Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten:
wir sehen uns an, wir sagen uns Dunkles,
wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,
wir schlafen wie Wein in den Muscheln,
wie das Meer im Blutstrahl des Mondes.

Wir stehen umschlungen im Fenster, sie sehen uns zu von der Straße:
es ist Zeit, daß man weiß!
Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,
daß der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, daß es Zeit wird.

Es ist Zeit.

Paul Celan


Dienstag, 15. Mai 2012

Kaffee ans Bett


Es gibt Momente,  
in denen wirkt alles belanglos, bedrohlich, langweilig, verrückt
Und die Angst, dass sich irgendwann gar nichts mehr rührt,
von unheimlicher Leere erdrückt.
Du hast gesagt,
dass es manchmal zu schwer wird, dass du mich manchmal einfach vergisst
Und die Geschichte, die du mir dann noch erzählt hast
Klingt nicht danach, als hättest du mich vermisst.

War ganz einfach, sagst du
Find ich schwierig, sag ich
Und dann du so, und ich wieder, und am Ende kein Licht mehr

Weck mich erst wieder auf, wenn das alles vorbei ist,
bring mir doch bitte einen Kaffee ans Bett.
Weck mich erst wieder auf, wenn du wieder dabei bist,
wisch den ekelhaften Beigeschmack weg

Weck mich erst wieder auf, wenn du wieder bei mir bist,
bring mir doch bitte einen Kaffee ans Bett
Weck mich bitte wieder auf, bevor das alles zu viel ist,
dann bleib bald für alle mal weg.

Es kann nicht jeder Tag sein wie ein Zirkusbesuch, Sensationen, Orchester, Magie,
Wenn es heute nicht so ist und dafür aber manchmal,
dann ist manchmal viel öfter als nie.
Du hast gesagt, dass das Leben kein Spiel ist, dass es sich abzuwägen empfiehlt,
ob man irgendwas macht oder doch lieber sein lässt
und dabei merkt, wie das Leben so spielt.

Ist doch lustig, sag ich,
Ist doch scheiße, sagst du,
Und dann ich so, und du auch, und da wird doch kein Schuh draus

Weck mich erst wieder auf, wenn das alles vorbei ist,
bring mir doch bitte einen Kaffee ans Bett.
Weck mich erst wieder auf, wenn du wieder dabei bist,
wisch den ekelhaften Beigeschmack weg.
Weck mich erst wieder auf, wenn du wieder bei mir bist,
bring mir doch bitte einen Kaffee ans Bett
Weck mich bitte wieder auf, bevor das alles zu viel ist,
dann bleib bald für alle mal weg.

Felix Meyer



Wir vertagen uns -
wir versagen uns
vielleicht 
all die Möglichkeiten
einer echten Nähe
und einer wirklichen Berührung...
Wach auf, wach endlich auf - 
bitte.

Luise


Montag, 14. Mai 2012

Tage in Weiß

In diesen Tagen steh ich auf mit den Birken
und kämm mir das Weizenhaar aus der Stirn
vor einem Spiegel aus Eis.

Mit meinem Atem vermengt,
flockt die Milch.
So früh schäumt sie leicht.
Und wo ich die Scheibe behauch, erscheint,
von einem kindlichen Finger gemalt,
wieder dein Name: Unschuld!
Nach so langer Zeit.

In diesen Tagen schmerzt mich nicht,
daß ich vergessen kann
und mich erinnern muß.

Ich liebe. Bis zur Weißglut
lieb ich und danke mit englischen Grüßen.
Ich hab sie im Fluge erlernt.

In diesen Tagen denk ich des Albatros',
mit dem ich mich auf-
und herüberschwang
in ein unbeschriebenes Land.

Am Horizont ahne ich,
glanzvoll im Untergang,
meinen fabelhaften Kontinent
dort drüben, der mich entließ
im Totenhemd.

Ich lebe und höre von fern seinen Schwanengesang!

Sonntag, 13. Mai 2012

Neue Wellen


 


Während ich schreibe, höre ich draußen das Meer.
Denn mein Haus steht am Ufer.
Und das Meer will über das Ufer, es brandet und braust wie
im Märchen. Mit neuen und neuen Wellen. Immer wieder,
immer wieder.
Es rauscht und braust und brandet immer wieder eine Welle.
Sie kommen aus der Ferne, wo der Horizont eine Linie ist.
Gestern war ein Sturm. Ich hab oft hingeschaut,
aber kein Ende entdeckt.

Ödön von Horváth 


Samstag, 12. Mai 2012

Lied vom Meer



 

Uraltes Wehn vom Meer,
Meerwind bei Nacht:
du kommst zu keinem her;
wenn einer wacht,
so muß er sehn, wie er
dich übersteht:
uraltes Wehn vom Meer
welches weht
nur wie für Ur-Gestein,
lauter Raum
reißend von weit herein
O wie fühlt dich
ein treibender Feigenbaum
oben im Mondenschein.

Rainer Maria Rilke



Freitag, 11. Mai 2012

Grüner Tag

Ich war bei der Nachtigall.
Der braunen mit dem blauen Schall.
Die wußte schon, was ich klagen wollt, all.
Und schlug es schmetternd in den Wind:
Tod oder Leben. Greis oder Kind.
Alles ist eins ist eins ist eins.
Was du besitzt, ist nicht wirklich deins.
Was einer singt, nur das ist seins.
Hin über die Kehle. Heraus aus der Brust.
Von Gipfel zu Gipfel. Von Lust zu Lust.
So sang die braune Nachtigall
Den grünen Tag mit blauem Schall.

Eva Strittmatter



http://www.youtube.com/watch?v=E2VCwBzGdPM

                                                                                                  

Donnerstag, 10. Mai 2012

Nach neuen Meeren

Dorthin – will ich; und ich traue
Mir fortan und meinem Griff.
Offen liegt das Meer, ins Blaue
Treibt mein Genueser Schiff.

Alles glänzt mir neu und neuer,
Mittag schläft auf Raum und Zeit-:
Nur dein Auge – ungeheuer
Blickt michs an, Unendlichkeit!

Friedrich Nietzsche

http://www.youtube.com/watch?v=Ezeq4Lhonv0


Mittwoch, 9. Mai 2012

Kleines Beispiel

Auch ungelebtes Leben
geht zu Ende
zwar vielleicht langsamer
wie eine Batterie
in einer Taschenlampe
die keiner benutzt

Aber das hilft nicht viel:
Wenn man
(sagen wir einmal)
diese Taschenlampe
nach so- und  sovielen Jahren
anknipsen will
kommt kein Atemzug Licht mehr heraus
und wenn du sie aufmachst
findest du nur deine Knochen
und falls du Pech hast
auch diese
schon ganz zerfressen

Da hättest du
genau so gut
leuchten können

Erich Fried

http://www.youtube.com/watch?v=d11rPSY-uyI

Dienstag, 8. Mai 2012

Hoch
















Hoch überm Schneegebirg der Wolken
ganz nah dem Blau der Glückseligkeit
und unten das Tal der Erde
angefüllt mit dunklen Vokalen
Nur in den Fingerspitzen toben die hellen Lieder

Elisabeth Borchers

http://www.youtube.com/watch?v=tJe10X1ektM&feature=channel&list=UL

Montag, 7. Mai 2012

Einverstanden

Guten-Morgen-Luft und glatte See
bevor die Sonne am Himmel ruht
Ich sehe den Wolken im Meer
mit geschlossenen Augen zu

Und heute ist so ein Tag,
an dem ich einverstanden bin
mit dem, was irgendwann sein kann
und mit allem, was war

Verloren geglaubter Moment,
wie bist Du bloß hinterher gekommen,
hast im Nachhinein eine klare Kontur
und dabei auch noch Zeit gewonnen

Und heute ist so ein Tag,
an dem ich einverstanden bin
mit dem, was irgendwann sein kann
und mit allem, was war

Wenn also Schicksal eine Frage des Glaubens ist
und Bewusstsein eine Frage der Zeit
dann könnte es Glück sein, wenn für einen Moment
keine Frage mehr bleibt

Ich male mit dem großen Zeh
eine Idee von uns in den Sand
Eine Welle hat sie mitgenommen,
damit sie keiner verderben kann

Und heute ist so ein Tag,
an dem ich einverstanden bin
mit allem, was irgendwann sein kann
und wo wir gestern schon waren

Felix Meyer

Für einen Berlin-Sonntag im März unter lauter Frankfurter Tagen.
Danke.

http://www.youtube.com/watch?v=p3YlU2Pm57U&feature=related

Sonntag, 6. Mai 2012

wenn ich dich sehen könnte


wenn ich dich sehen könnte
jenseits meines randes
wie du dich rasierst
die zähne putzt
deine nägel reinigst
würde ich meinen
du habest mein haus benutzt
dein innenleben ungeschützt
hier liegen lassen


Nora Iuga, Gefährliche Launen,
Klett Cotta, 2009, Stuttgart


http://www.youtube.com/watch?v=_gMq3hRLDD0&feature=relmfu

Samstag, 5. Mai 2012

Klar sind wir kein Beerdigungsinstitut...
















Klar sind wir kein Beerdigungsinstitut,
wir nehmen uns das Recht auf Fröhlichkeit...

Mario Benedetti




Klar, wir sind kein Beerdigungsinstitut,
trotz all der hinuntergeschluckten Tränen
sind wir fröhlich genug, Neues anzugehn;
unsere Tage und Nächte genießen wir,
auch die Müdigkeit, und fangen
das Lachen ein aus dem hohen Wind.

Wir nehmen uns das Recht, fröhlich zu sein,
die Liebe anzutreffen
in ferner Erde,
und schätzen uns glücklich,
weil wir Freunde fanden,
mit ihnen zu teilen
Brot, Schmerz und Bett.

Eigentlich sind wir geboren, glücklich zu sein,
doch umstellen uns Trauer und Verdruß,
Tod, und der Zwang, uns zu verbergen.
Auf der Flucht wie die Ausbrecher
sehn wir zu, wie sich Furchen in unsere Stirn eingraben,
und wir werden ernst,
aber immer wieder kommt uns das Lachen,
wie an unsere Fersen geheftet,
und wir können uns vor Lachen ausschütten
und in der schwärzesten un engsten Nacht glücklich sein,
denn wir bestehenaus großer Hoffnung,
aus großer Zuversicht, die uns voranbringt,
und wir haben den Sieg umd den Hals geschlungen
und schlagen seine Trommel, lauter mit jedem Schlag,
und wir wissen, nichts kann geschehn, was uns aufhält,
denn wir sind Samen und Wohnung eines heimlichen Lächelns,
das wird schon bald
aus allen Gesichtern
springen.

Ich lebe in Costa Rica,
zu Verbannung verurteilt
udn achtzehn Monaten Gefängnis,
weil ich mehr geliebt habe
als erlaubt ist.

Gioconda Belli


http://www.youtube.com/watch?v=Hfknv_dzbyQ


Freitag, 4. Mai 2012

Er kam mit dem Wind


Er kam mit dem Wind
Was kümmerts den Wind
        ob er darf, ob er soll oder muß
Er griff ihr im Vorübergehn
Ins Herz und blieb nicht einmal stehn
        beim ersten Kuß

Sie fragte ihn nicht
Im Dämmerlicht
        sie gab sich den Düften hin
Und ließ sich von seinen Händen kirrn
Und fühlte die Narbe auf seiner Stirn
        sein Stachelkinn

Es galt die Räson
        nicht mehr: was man darf, soll oder muß
Sie machten einen rüden Ritt
Und flohen in Richtung Süden mit
        dem Pegasus

Ein Flügelschlag
Tief unten lag
        die kleine Menschenwelt
Ein spätes Kranichpärchen hat
Sich in den Lüften fliegematt
        hinzugesellt

Sie ging mit dem Wind
Was kümmerts den Wind
        ob er darf, ob er soll oder muß
Sie griff ihm im Vorübergehn
Ins Herz und blieb nicht einmal stehn
        beim letzten Kuß

Wolf Biermann

Donnerstag, 3. Mai 2012

Und als wir ans Ufer kamen

Und als wir ans Ufer kamen
Und saßen noch lang im Kahn
Da war es, daß wir den Himmel
Am schönsten im Wasser sahn
Und durch den Birnbaum flogen
Paar Fischlein. Das Flugzeug schwamm
Quer durch den See und zerschellte
Sacht am Weidenstamm -
                                    am Weidenstamm

Was wird bloß aus unsern Träumen
In diesem zerrissnen Land
Die Wunden wollen nicht zugehn
Unter dem Dreckverband
Und was wird aus unsern Freunden
Und was noch aus dir, aus mir -
Ich möchte am liebsten weg sein
Und bliebe am liebsten hier -
                                    am liebsten hier

Wolf Biermann




http://www.youtube.com/watch?v=Le9w2qYeWl4

Mittwoch, 2. Mai 2012

Suche nach der verlorenen Zeit


Wo finde ich eine Zeitmaschine?

In welcher Garage
wird sie von irgendeinem zerstreuten Wissenschaftler versteckt?
Unter welchen Motten, Spinnennetzen, schimmligen Fetzen
dämmert die Zufahrtsstraße in die Vergangenheit vor sich hin?
Ich will sie finden und ein paar Jahrzehnte
rückwärts gehen.

Ich vermisse die Zeiten mit angelegter Lanze,
die Ritte hin zu gloriosen Horizonten,
tosend von imaginären Heldentaten,
bevölkert von gütigen, weisen Gesichtern.
Ich vermisse die Noblesse der verlorenen Illusionen,
ihre Standarten und bunten Federhelme.
Zerbrochen die Utopien, alles Unerschütterliche umgewälzt,
die Welt ist ein Tiegel,
in dem sich alles Blut kochend vermischt.
Im Nebel wechseln die Seiten
und der Krieg geht weiter wie ein finsteres Spiel,
in dem man tötet, ohne zu wissen warum,
und wo Gleichgültigkeit und Gier
die Zuflucht sind der Überlebenden.
Kein Zeichen erhebt sich aus dem Rauch.
Die alten Gewissheiten
bergen Verrate und Lanzen,
und man hüpft von Tag zu Tag,
erfindet sein tägliches Einerlei
und stirbt, ohne zu wissen warum
oder wofür.

Wo finde ich eine Zeitmaschine,
in der die Vergangenheit keine Erinnerung mehr ist?

Gioconda Belli

http://www.youtube.com/watch?v=p4MJ2ktu54k


Vielleicht genügten manchen statt einiger Jahrzehnte schon eine Handvoll Wochen. Vielleicht.

Dienstag, 1. Mai 2012

Bleib erschütterbar und widersteh


Also heut: zum Ersten, Zweiten, Letzten:
Allem Durchgedrehten, Umgehetzten,
was ich, kaum erhoben, wanken seh,
gestern an und morgen abgeschaltet:
Eh dein Kopf zum Totenkopf erkaltet:
Bleib erschütterbar - doch widersteh!

Die uns Erde, Wasser, Luft versauen
- Fortschritt marsch! mit Gas und Gottvertrauen -
Eh sie dich einvernehmen, eh
du im Strudel bist und schon im Solde,
wartend, daß die Kotze sich vergolde:
Bleib erschütterbar - und widersteh.

Schön, wie die Sterblichen sich berühren -
Knüppel zielen schon auf Hirn und Nieren,
daß der Liebe gleich der Mut vergeh...
Wer geduckt steht, will auch andre biegen.
(Sorgen brauchst du dir nicht selber zuzufügen;
alles, was gefürchtet wird, wird wahr!)
Bleib erschütterbar.
Bleib erschütterbar - doch widersteh!

Widersteht! im Siegen Ungeübte,
zwischen Scylla hier und dort Charybde
schwankt der Wechselkurs der Odyssee...
Finsternis kommt reichlich nachgeflossen;
aber du mit - such sie dir! - Genossen!
teilst das Dunkel, und es teilt sich die Gefahr,
leicht und jäh ---
Bleib erschütterbar!
Bleib erschütterbar - und widersteh.

Peter Rühmkorf (1929 - 2008)


http://www.youtube.com/watch?v=LN0uBPt0UOA