... salut de nouveau

Wieder auf Reisen.
Du fragst oft nach mir.
Ich telephonier
noch vorm Zubettgehen mit dir.


Freu mich auf den Moment,
wenn ich steh in der Tür,

und du läufst mir jauchzend entgegen.

...

Und dann öffne ich meine Arme für dich.
Ja, dann öffne ich meine Arme für dich!


Dann öffne ich meine Arme, Gerhard Schöne (1992)


Donnerstag, 30. März 2017

Wintergarten

Deinen Briefumschlag 
mit den zwei gelben und roten Marken
habe ich eingepflanzt
in den Blumentopf

Ich will ihn 
täglich begießen
dann wachsen mir
deine Briefe

Schöne
und traurige Briefe
und Briefe
die nach dir riechen

Ich hätte das 
früher tun sollen
nicht erst 
so spät im Jahr

Erich Fried
aus: Erich Fried, "Gedichte", dtv, 1995, München


Mittwoch, 29. März 2017

Birken

Ich seh oft Birken, krumm nach links und rechts
quer zu den Linien grader, dunkler Bäume,
dann denk ich gern, ein Bub hat sie geschaukelt.
Doch Schaukeln biegt sie nicht bis an den Boden.
Ein Eissturm schafft's. Du hast wohl gesehen,
mit Eis bepackt, an sonnigen Wintermorgen
nach einem Regen. Sie knacken aneinander
bei frischem Wind und werden viele Farben,
wenn die Glasur durch die Bewegung bricht.
Die Sonne wärmt, sie werfen ihr Kristall
wie in Kaskaden auf den Schnee hinab - 
ein großer Haufen Scherben, dass man meint,
des Himmels Innenkuppel sei gestürzt.
Die Last zieht sie herab auf alten Farn, 
sie brechen nicht; doch wenn so lang gebückt,
dann richten sie sich nie mehr auf:
Du siehst noch jahrelang im Wald die Stämme
gebogen, mit den Blättern auf dem Boden
wie Mädchen, die auf Händen und auf Knien
ihr Haar zum Sonnentrocknen vor sich werfen.
Doch wollt ich sagen, als die Wahrheit sich
zum Thema Eissturm nüchtern eingemischt hat:
Mir wär es lieber, dass ein Bub sie bog,
als er die Kühe draußen holen ging.
Ein Bub, weit weg vom Baseball in der Stadt,
der nur zum Spielen hatte, was er fand,
das ganze Jahr beim Spiel sich selbst genug.
Des Vaters Bäume unterwarf er alle,
zwang rittlings einen nach dem andern nieder,
bis ihre Starrheit ausgetrieben war;
und alle hingen schlaff, nicht einer blieb
noch zu erobern. Alles lernte er,
was es zu lernen gab: Sich nicht zu bald
hinauszuwerfen, da der Baum dann nicht bis 
zum Boden reichte. Stets hielt er die Balance,
wenn er bis zu den höchsten Ästen stieg,
behutsam, wie man eine Tasse füllt,
bis an den Rand und dann sogar noch drüber.
Dann schwang er sich zur Seite, Füße vor,
und strampelt' durch die Luft zum Boden runter.
Auch ich war einmal so ein Birkenschaukler.
Ich träum' davon, die Zeit zurückzudrehn,
meist wenn ich müde bin vom Grübeln und 
das Leben wie ein wegeloser Wald ist,
wo das Gesicht von Spinnennetzen juckt,
die es zerriss, und wo ein Auge tränt
von einem Zweig, der es ungeschützt traf.
Ich wollt der Erde gern einmal entrinnen
und dann zu neuem Anfang wiederkehren.
Das Schicksal möge mich nicht missverstehn,
nur halb erhören und für immer schnappen.
Die Erde ist der Liebe wahrer Ort:
Ich wüsste nicht, wo man es besser fände.

Ich ginge gern von hier, nach oben kletternd
auf schwarzen Ästen am schneeweißen Stamm
gen Himmel, bis der Baum mich nicht mehr trägt,
der Wipfel neigt und mich zu Boden setzt.
Wie gut: Zu gehen und zurückzukehren.
Man könnte Schlimmeres sein als Birkenschaukler.

Robert Frost
aus: Robert Frost, "Promises to keep: Poems / Gedichte", C.H.Beck, 2011, München



Dienstag, 28. März 2017

A time to talk - Zeit zum Reden

When a friend calls to me from the road
And slows his horse to a meaning walk,
I don't stand still and look around 
On all the hills I haven't hoed,
And shout from where I am, "What is it?"
No, not as there is a time to talk. 
I thrust my hoe in the mellow ground,
Blade-end up and five feet tall,
And plod: I go up to the stone wall 
For a friendly visit.

Zeit zum Reden

Wenn mich ein Freund ruft von der Straße her
und seinen Gaul vielsagend halten lässt, 
dann stell ich mich nicht hin und schau
auf all die nicht gehackten Hügel
und ruft von wo ich bin: Was gibt's?
Nein, nicht wenn Zeit zum Reden ist.
Ich stoß die Hacke in den weichen Grund,
das Blatt nach oben, fünf Fuß lang,
und trotte los: Ich geh zum Steinwall
auf freundlichen Besuch.

Robert Frost
aus: Robert Frost, "Promises to keep: Poems / Gedichte", C.H.Beck Verlag, 2011, München



Montag, 27. März 2017

Die Nacht gekannt

Ich war so einer, der die Nacht gekannt.
Ich ging bei Regen aus, bei Regen heim.
Ich ging am letzten Stadtlicht noch vorbei.

Ich wusste von den Gassen ohne Freude.
Ich traf den Wachmann auf der letzten Runde
und senkte ungesprächig meinen Blick.

Ich stand ganz leise, meine Schritte stumm,
als in der Ferne ein durchbrochener Schrei 
aus anderer Straße über Häuser fuhr,

doch nicht als Gruß, nicht als Lebewohl für mich.
Und weiter fort, auf geisterhafter Höhe,
erklärte eine Uhr aus Licht vorm Himmel,

die Zeit sei weder falsch noch recht.
Ich war so einer, der die Nacht gekannt.

Robert Frost
aus: Robert Frost, "Promises to keep: Poems / Gedichte", C.H.Beck, 2011, München


Sonntag, 26. März 2017

The sound of trees - Das Geräusch der Bäume

I wonder about the trees.
Why do we wish to bear
Forever the noise of these
More than another noise
So close to our dwelling place? 
We suffer them by the day
Till we lose all measure of pace,
And fixity in our joys,
And acquire a listening air.
They are that that talks of going
But never gets away;
And that talks no less for knowing,
As it grows wiser and older,
That now it means to stay.
My feet tug at the floor
And my head sways to my shoulder
Sometimes when I watch trees sway,
From the window or the door.
I shall set forth for somewhere,
I shall make the reckless choice
Some day when they are in voice
And tossing so as to scare
The white clouds over them on. 
I shall have less to say,
But I shall be gone.

Das Geräusch der Bäume

Ich staune über die Bäume.
Warum ertragen wir so gern
ihr Rauschen immerfort
vor allem andern Lärm
so nah bei unserm Heim?
Wir dulden sie am Tag,
bis unser Schritt das Maß verliert
und unser Glück Beständigkeit
und wir zu Horchern werden.
Sie reden zwar vom Fortgehn,
doch gehn sie niemals fort;
sie hören nicht auf zu reden,
selbst alt und weise nicht,
obwohl sie wissen, dass sie bleiben.
Am Boden zerren meine Füße,
mein Kopf neigt sich zur Schulter,
wenn ich das Wiegen der Bäume seh
aus Fenster oder Tür.
Ich will nach irgendwo,
ich will mich kühn entscheiden,
wenn sie mal gut bei Stimme sind
und so sich schütteln, dass
den Wolken angst und bange wird.
Ich hab dann weniger zu sagen,
doch ich bin fort.

Robert Frost
aus: Robert Frost, "Promises to keep: Poems / Gedichte", C.H. Beck, 2011, München



Samstag, 25. März 2017

[...]

Suis bouche bée...

Freitag, 24. März 2017

La lettre du sixième sens

Ma lettre portée par ellipse
ai demandé aux mots
toutes voiles fermées
de prendre le poids de l’oiseau
en plein vol
de rendre rapport d’écriture
et de déraison
de mélodie d’extravagance


Même en me trompant de parcours
mêlant la longue syncope des arcs-en-ciel
aux phrases séquestrées des réverbères
je n’ai toujours eu qu’un seul galop
la phrase mutilée
l’ordre des vertébrés


Celui qui crie trop fort
n’entend pas l’orage déchiré de ta bouche
dans ma vie qui se défait et se refait
comme une chevelure


Celui qui ne crie pas assez
n’entend pas la voix du silence
c’est à mourir de rire !
les hommes n’ont plus de couilles
mais des légendes
des blessures miaulantes


J’ai remis vois-tu
mon vêtement de marginalité
Je vais encore dans le sens des miroirs
Le temps que j’habite n’a pas de portes.


© Georges Castera
Aus: Les cinq lettres
Port-au-Prince : Imprimerie Natal, 1992

Brief des sechsten Sinns

Mein Brief, den die Ellipse trägt
habe die Worte gebeten
bei hängenden Segeln
das Gewicht der Vögel anzunehmen
im Sturzflug
vom Schreiben zu erzählen
und der Unvernunft von
Unerhörtem

Auch wenn ich mich in meiner Gangart täuschte
die lange Synkope des Regenbogens mischte mit
unter den Laternen eingefangenen Sätzen, hatte
ich doch immer nur diese Gangart
den verstümmelten Satz
die Ordnung der Wirbelsäule

Wer zu laut schreit
hört das aus deinem Mund gerissene Gewitter nicht
in meinem wie Haar, das sich zerzaust
und wieder stillgelegten Leben

Wer zu wenig schreit
hört nicht wie das Schweigen spricht
zum Totlachen!
diese Menschen ohne Trieb
nichts als Legenden und
Katzenjammer aus Blessuren

Schau, ich hab sie wieder angelegt
meine Marginalität
Ich gehe auf den Spiegel zu. Keine Türen
kennt die Zeit, die ich behause.

übersetzt von Lutz Seiler




Donnerstag, 23. März 2017

DU HAST ES NUR NOCH NICHT PROBIERT

Seiteninhalt

Du hast es nur noch nicht probiert, und darum glaubst du's nicht!
Gleich kommt der Staatsmann vorbei im Diplomatenkonvoi,
die Polizeieskorte rollt langsam heran.
Du hebst gebietend die Hand, und die Eskorte hält an.
Du nimmst den Staatsmann mal ganz herzlich in den Arm.
Und sagst ihm ins Gesicht, was dir gefallt und was nicht
und welchen Wunsch du offen hast.
Und er bedankt sich auch ganz lieb und sagt: "Das war'n guterTip!
Sei'n Sie heut Abend mein Gast!"
Du hast es nur noch nicht probiert, und darum glaubst du's nicht!
Im Kino kommt heut ein Film mit dieser Schauspielerin,
bei der dein Herz so klopft, daß sich die Jacke beult.
Sie sitzt vorm Spiegel betrübt und fragt: Ob einer mich liebt?
Das halbe Kino schluckt. Das halbe Kino heult.
Da stehst du auf und rufst: "Ich!" Und alle starren auf dich,
doch sie springt aus der Leinwand raus.
Ein leerer Fleck bleibt im Bild. Ihr zwei umarmt euch wie wild,
dann geht ihr glücklich nach Haus.
Du hast es nur noch nicht probiert, und darum glaubst du's nicht!
Du gibst dich so stinknormal. Es ist dir selbst eine Qual.
Doch eines Tages fällst du auf im Einerlei.
Da explodiert dein Gefühl, du tanzt im Menschengewühl.
Du bist ein Tango, ein Vulkan, ein Jubelschrei.
Die Leute rings um dich her erstarren und atmen nicht mehr.
Die Zigaretten gehen aus.
Es schweigen Autos und Bahn, dein Tanz hält Flugzeuge an,
und endlich donnert Applaus.
Du hast es nur noch nicht probiert, und darum glaubst du's nicht!

Mensch, du bist hart wie ein Stein, wie zärtlich könntest du sein,
und die gefrornen Blicke taun wie nichts dahin.
Mensch, du bist stumm wie ein Fisch, und alles wartet auf dich.
In dir steckt doch noch so viel Ungeahntes drin!
In dir schläft Tanz und Gesang, und was noch keinem gelang,
das packst vielleicht gerade du. In dir schläft Mut, Phantasie,
na, und vielleicht ein Genie. Na, los, nun trau dir's doch zu!



Gerhard Schöne, CD 2 (1988) "Du hast es nur noch nicht probiert", Titel 11



Weder weit noch tief

Die Menschen dort am Strand
sehn alle in eine Richtung.
Dem Lande abgewandt sehn sie 
den ganzen Tag aufs Meer.

Ein Schiff passiert: So lange 
geht auf und ab sein Rumpf;
der nasse Boden spiegelt 
eine Möwe, die da steht.

An Land mag mehr geschehn;
doch wo die Wahrheit auch liegt:
Das Wasser kommt ans Ufer 
und Menschen sehn aufs Meer.

Weit können sie nicht sehn.
Tief können sie nicht sehn.
Wann war das je ein Grund,
nicht doch Ausschau zu halten?

Robert Frost
aus: Robert Frost, "Promises to keep: Poems / Gedichte", C.H.Beck Verlag, 2011, München



A patch of old snow - Ein Flecken alter Schnee

A patch of old snow

There's a patch of old snow in a corner,
    That I should have guessed
Was a blow-away paper the rain
    Had brought to rest.

It is speckled with grime as if 
    Small print overspread it,
The news of a day I've forgotten - 
    If I ever read it.


Ein Flecken alter Schnee 

Dort in der Ecke liegt ein Flecken alter Schnee,
der war, so hätt ich denken können,    
ein fortgewehter Zettel, den der Regen
zur Ruh gebettet hat.    

Er ist mit Ruß gesprenkelt,
als wäre er ganz klein bedruckt,    
die Nachricht eines Tages, schon vergessen,
falls ich sie je gelesen habe.    

Robert Frost
aus: Robert Frost, "Promises to keep - Poems / Gedichte", C.H.Beck Verlag, 2011, München


Mittwoch, 22. März 2017

Dienstag, 21. März 2017

Es ist Zeit


Das Saxophon klingt müde ,
ich glaub, wir machen Schluß,
Wir packen ein und fahren in's Hotel.
Wir sitzen vielleicht unten
noch'n bißchen im Foyer
und trinken noch ein Bier, eventuell.

Das Mädchen mit den klaren Augen
hat grad im Schlaf geseufzt.
Sie spricht mit Herbert, ihrem Apfelbaum:
"Du kannst nich mit nach Afrika!
Das ist zu heiß für dich!
Und wenn du ganz toll Sehnsucht hast,
dann rufst du mich im Traum".

Es ist Zeit, Zeit, Zeit,
es ist Zeit, Zeit, Zeit,
es ist Zeit, Zeit, Zeit heimzugeh'n!
Es ist Zeit, Zeit, Zeit...

Der Ringo geht schon wieder
ganz cool über's Parkett,
wiel er 'ne akzeptable Kirsche sah.
Die Mutti schläft vorm Testbild.
Der Papa macht sie wach:
"Du dein Herr Sohn ist immer noch nicht da!"

In so 'ner Scheiß-Kaserne
sitzt grad mein lieber Feind
und hört im Radio das Lied von mir.
Da denkt er : "Mensch, so isses!
Verdammt, der Feind hat recht! "
Schmeißt's Koppel in die Ecke
und sagt zum Offizier :

Du, es ist Zeit, Zeit, Zeit,


es ist Zeit, Zeit, Zeit,
es ist Zeit, Zeit, Zeit heimzugeh'n!
Es ist Zeit, Zeit, Zeit...

Im Altersheim die Neue
sitzt stumm an ihrem Platz.
Sie hat vom Abendbrot nicht's angerührt.
wenn sich das nicht bald gibt,
und sie auch Morgen noch nichts ißt,
dann wird sie der Frau Doktor vorgeführt.

Die Platzanweiser gähnen
und schielen nach der Uhr.
Die Kassenfrau legt schon die Gage raus,
der Feuerwehrmann fragte mich,
wie lange das noch geht.
Sein Hund hat nämlich Husten
und wartet schon zu Haus.

Ach, es ist Zeit, Zeit, Zeit,
es ist Zeit, Zeit, Zeit,
es ist Zeit, Zeit, Zeit heimzugeh'n!
Es ist Zeit, Zeit, Zeit...


Gerhard Schöne


Lovesong for Bobby Long

Quel trésor, ce film-là!

Internationaler Tag des Waldes - mit Unterstützung der NGO Survival International

Das ist das erste Mal, dass ich hier einmal Werbung publiziere - aber aus absolut gutem Grund: Survival International kämpft seit 1969 für die Rechte Indigener, unter anderem auch für das Recht, unkontaktiert zu bleiben und auch für jenes, in einem zum Nationalpark erklärten Gebiet weiterhin leben zu dürfen. Dieser Kampf ist beileibe kein kleiner mehr, da die Landrechte indigener Völker durch Abholzung, Wilderei und staatliche Repressionen akut bedroht sind. Survival International arbeitet ausschließlich mit Spendengeldern und ist die weltweit einzige Organisation, die nur für die Rechte Indigener kämpft. Weitere Infos gibt es hier: http://www.survivalinternational.de/

Aujourd'hui, c'est la toute première fois que j'y publie de la publicité - et pour cause: Depuis 1969, Survival International se bat pour les droits des Indigènes, dont aussi pour le droit de rester non-contacté-e-s et pour le celui-ci de continuer à vivre dans un territoire déclaré comme parc national. Cette lutte-là n'est surtout plus une petite car les droits d'utilisation du sol par les peuples indigènes sont fortement menacés par le déboisement, le braconnage et les représailles nationales. Survival International se finance exclusivement des dons caricatifs et elle est la seule organisation dans le monde entier qui ne se bat que pour les droits des Indigènes. Plus d'infos: http://www.survivalinternational.fr/

Montag, 20. März 2017

Leben wie Franzosen Auto fahren

Ich möchte leben wie Franzosen Auto fahren
eine Delle macht nichts aus
und wenn die Kreuzung voll ist
fährt man trotzdem drauf
kann sein, dass man im Weg steht
wenn man nicht auf dem Gehweg geht
tut mir auch nicht leid
tut mir auch nicht leid
Auch Sommersprossen sind Gesichtspunkte
hab ich irgendwo gelesen
und selbst die verschwinden mit zu wenig Sonne
gerade so als wäre nichts gewesen

Ich möchte leben wie Franzosen Auto fahren
egal wo man parkt
und eine rote Ampel ist immer nur ein Vorschlag
kann sein, dass man sich weh tut
wenn man den falschen Typen anhupt
tut mir auch nicht leid
tut mir auch nicht leid

Unsere Blicke sind so eingefahren,
dass unsere Augen Spurrillen haben
und immer auf dieselbe Stelle blicken
sich immer die gleichen
Dinge aus den Dingen picken

Ich möchte leben wie Franzosen Auto fahren
mal rechts, mal links, mal rückwärts
vom jetzigen Standpunkt aus
geht es immer nur vorwärts
kann sein, dass mal was schief geht
wenn man nicht den geraden Weg wählt
tut mir auch nicht leid
tut mir auch nicht leid
nein, nein, nein

Es gibt nicht viel zu entscheiden
letzten Endes nur zu gehen oder zu bleiben
und der der geht ist langsamer als der der bleibt
weil er viel später
seinen Ruhepunkt erreicht

Ich möchte leben wie Franzosen Auto fahren
eine Delle macht nichts aus
und wenn die Kreuzung voll ist
fährt man trotzdem drauf
kann sein, dass man im Weg steht
wenn man nicht den geraden Weg wählt
tut mir auch nicht leid
tut mir auch nicht leid
nein. nein. nein

Wolfgang Müller



Creep

Outstanding!

Sonntag, 19. März 2017

Unaufmerksamkeit


Gestern betrug ich mich schlecht im Kosmos.
Den ganzen Tag lebte ich, ohne zu fragen, 
ohne mich über etwas zu wundern.

Ich verrichtete die alltäglichen Dinge,
als wäre das alles, was ich zu tun habe.

Einatmen, Ausatmen, Schritt für Schritt, Pflichten,
aber ohne einen Gedanken, der weiter reichte
als zum Verlassen des Hauses und zur Rückkehr,

Die Welt hätte als verrückte Welt wahrgenommen werden können,
aber ich nahm sie nur für den täglichen Bedarf.

Weder »wie« noch »warum«,
woher sie eigentlich kommt
und wozu sie so viele lebhafte Details braucht.

Ich war wie ein zu flach in die Wand geschlagener Nagel
oder
(hier ein Vergleich, der mir fehlte).

Eine Veränderung nach der anderen vollzog sich
selbst im beschränkten Feld eines Augenblicks.

Am jüngeren Tisch, mit der um einen Tag jüngeren Hand,
wurde das gestrige Brot anders geschnitten.

Die Wolken wie nie und der Regen wie nie,
fiel er doch in anderen Tropfen.

Die Erde drehte sich um ihre Achse,
aber in einem jetzt für immer verlassenen Raum.

Das dauerte gut vierundzwanzig Stunden.
1440 Minuten Gelegenheit.
86 400 Sekunden zur Einsicht.

Das kosmische
Savoir-vivre
wenn es auch über uns schweigt,
so verlangt es doch etwas von uns:
ein wenig Aufmerksamkeit, ein paar Sätze Pascal
und unsere verwunderte Teilnahme an diesem Spiel
mit unbekannten Regeln.

Wisława Szymborska

Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall.
Aus: Glückliche Liebe und andere Gedichte. Berlin: Suhrkamp Verlag 2012.



Samstag, 18. März 2017

Schrecklicher Traum eines Dichters


Stell dir vor, was ich geträumt habe.
Scheinbar alles genau wie bei uns.
Boden unter den Füßen, Wasser, Feuer, Luft,
Vertikale, Horizontale, Dreieck, Kreis,
linke und rechte Seite.
Das Wetter erträglich, die Landschaft nicht schlecht
und eine Menge mit Sprache begabter Wesen.
Doch ihre Sprache anders als auf der Erde.

In den Sätzen herrscht die Wirklichkeitsform.
Die Namen decken sich exakt mit den Dingen.
Nichts hinzuzufügen, nichts wegzunehmen, zu ändern oder umzustellen.

Die Zeit ist immer die auf der Uhr.
Vergangenheit und Zukunft haben engen Spielraum.
Für Erinnerungen eine einzige vergangene Sekunde,
für Vorhersagen eine zweite,
die soeben beginnt.

Worte - nur die nötigsten. Nie eins zuviel,
und das bedeutet - keine Poesie,
keine Philosophie und keine Religion.
Solcher Unfug kommt dort nicht in Frage.

Nichts, was man sich nur vorstellen
oder mit geschlossenen Augen sehen kann.

Wenn man sucht, dann das, was auf der Hand liegt.
Wenn man fragt, dann danach, worauf es eine Antwort gibt.
Sie würden sich sehr wundern,
wenn sie sich wundern könnten,
daß es irgendwo Gründe zum Wundern gibt.

Das Stichwort »Unruhe« gilt bei ihnen als obszön,
es hätte nicht den Mut, sich im Wörterbuch zu finden.

Die Welt erscheint klar
selbst bei tiefster Dunkelheit.

Sie wird jedem gewährt, zu erschwinglichem Preis.
Niemand verlangt an der Kasse den Rest.

Aus Gefühlen: Befriedigung. Und nichts in Klammern.
Leben mit einem Punkt am Ende. Und das Dröhnen der Galaxien,

Gib zu, etwas Schlimmeres
kann dem Dichter nicht passieren.
Und dann nichts Besseres
als schnell aufzuwachen.

Wisława Szymborska

Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall.
Aus: Glückliche Liebe und andere Gedichte. Berlin: Suhrkamp Verlag 2012.



Freitag, 17. März 2017

Trost


Darwin.

Angeblich las er zur Entspannung Romane.
Doch er stellte Ansprüche:
Sie durften nicht traurig enden.
Wenn er auf einen traurigen stieß,
warf er ihn wütend ins Feuer.

Ob’s stimmt oder nicht –
ich glaub es gern.

Sein Geist durchmaß so viele Gebiete und Zeiten,
er sah sich so viele ausgestorbene Gattungen an,
Triumphe der Stärkeren über die Schwächeren,
so viele Überlebensversuche,
früher oder später vergeblich,
daß er sich zumindest von der Fiktion
und ihrer Mikroskala
mit Recht ein Happy-End erhoffte.

Also unbedingt: ein Lichtstrahl hinter den Wolken,
die Geliebten wieder vereint, die Familien versöhnt,
die Zweifel zerstreut, die Treue belohnt,
das Vermögen zurückgewonnen, die Schätze ausgegraben,
die Nachbarn zerknirscht über ihre Sturheit,
der gute Name wiederhergestellt, die Habgier beschämt,
die alten Jungfern an ehrbare Pastoren vergeben,
die Intriganten auf die andere Halbkugel verbannt,
die Dokumentenfälscher von der Treppe gestoßen,
die Mädchenverführer auf dem Weg zum Altar,
die Waisen in Obhut, die Witwen beruhigt,
der Hochmut ganz klein, die Wunden verheilt,
die verlorenen Söhne an den Tisch gebeten,
der bittere Kelch ins Meer geleert,
die Taschentücher naß von Freudentränen,
allgemeines Singen und Musizieren,
und das Hündchen Fido,
schon im ersten Kapitel verschwunden –
möge es wieder durchs Haus laufen
und fröhlich bellen.

 Wisława Szymborska



Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall.
Aus: Glückliche Liebe und andere Gedichte. Berlin: Suhrkamp Verlag 2012.



Donnerstag, 16. März 2017

Morgen - ohne uns


Der erwartete Morgen ist kühl und neblig.
Von Westen her
beginnen Regenwolken aufzuziehen.
Die Sicht wird schlecht sein.
Die Straßen glatt.

Allmählich, im Laufe des Tages,
unter dem Einfluß eines Hochs von Norden
sind örtlich Aufheiterungen möglich.
Doch bei starken und wechselhaften Windstößen
kann es Gewitter geben.

In der Nacht
klart es fast im ganzen Land auf,
nur im Südwesten
sind Niederschläge nicht auszuschließen.
Die Temperatur wird merklich fallen,
dafür steigt der Luftdruck.

Der nächste Tag
verspricht sonnig zu werden,
obwohl jene, die leben,
noch einen Regenschirm brauchen.

Wisława Szymborska


Mittwoch, 15. März 2017

Perspektive


Sie gingen aneinander vorbei wie Fremde,
ohne eine Geste, ohne ein Wort,
sie auf dem Weg in den Laden,
er zum Auto.

Vielleicht in Panik
oder zerstreut
oder nicht mehr wissend,
daß sie sich kurze Zeit
für immer geliebt haben.

Übrigens ist nicht garantiert,
daß sie es waren.
Von weitem vielleicht ja,
aus der Nähe aber nicht.

Ich sah sie vom Fenster aus,
und wer von oben schaut,
kann sich leicht irren.

Sie verschwand hinter der Glastür,
er setzte sich ans Steuer
und fuhr schnell davon.
Das heißt, nichts ist geschehen,
selbst wenn.

Und ich, nur einen Moment lang
sicher, was ich sah,
versuche jetzt in einem Gelegenheitsgedicht
euch, den Lesern, einzureden,
das sei traurig gewesen.

Wisława Szymborska

Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall.
Aus: Glückliche Liebe und andere Gedichte. Berlin: Suhrkamp Verlag 2012.



Dienstag, 14. März 2017

DAS NICHTS


Das Nichts hat sich auch mir genichtet.
Es wendete sich tatsächlich auf die andere Seite.
Wo bin ich nur hingeraten,
Kopf und Fuß in Planeten,
unbegreiflich, ich hätte einmal nicht da sein können.

O du mein hier Getroffener, Liebgewonnener hier,
ich ahne, die Hand auf deiner Schulter, nur,
wieviel Leere uns auf der anderen Seite zukommt,
wieviel dort Stille fällt auf eine Grille hier,
wieviel dort Wiese fehlt dem Sauerampferblatt hier,
die Sonne aber ist nach dem Dunkel wie Schadenersatz
im Tropfen Tau – für die wie tiefen Dürren dort!

Gestirnt aufs Geratewohl! Die Hiesigen umgekehrt!
Weitgestreckt über Schrägen, Schwere, Rauheit, Bewegung!
Ein Spalt im Unendlichen für den grenzenlosen Himmel!
Erleichterung nach dem Nichtraum in Form einer schwankenden Birke!

Jetzt oder nie bewegt der Wind eine Wolke,
denn Wind ist eben das, was dort nicht weht.
Und der Käfer betritt den Pfad im dunklen Anzug des Zeugen.
Für den Fall des langen Wartens aufs kurze Leben.

Für mich hat sich’s so ergeben, daß ich bei dir bin.
Und wirklich, ich sehe darin nichts
Gewöhnliches.


Wisława Szymborska 

Montag, 13. März 2017

Glückliche Liebe


Glückliche Liebe. Ist das normal,
ist das seriös, und ist das nützlich - 
was hat schon die Welt von zwei Menschen,
die diese Welt nicht sehen?

Zu sich erhoben ohne Verdienst,
die ersten besten von einer Million, allerdings überzeugt,
es habe so kommen müssen - als Preis wofür?
Für nichts.

Von nirgendwoher fällt Licht - 
weshalb gerade auf die und nicht andre? 
Beleidigt es nicht die Gerechtigkeit? Ja.
Verletzt es nicht alle sorgsam gehäuften Prinzipien,
stürzt die Moral nicht vom Gipfel? Verletzt und stürzt.

Seht euch die Glücklichen an:
wenn sie sich doch nur verstellten,
Niedergeschlagenheit spielten, damit die Freunde auf ihre Kosten kämen!

Hört, wie sie lachen - schimpflich.
Mit welcher Zunge sie sprechen - scheinbar verständlich.
Und diese ihre Zeremonien, Zierereien,
die findigen Pflichten gegeneinander - 
es ist wie eine Verschwörung hinter dem Rücken der Menschheit.

Es läßt sich schwerlich voraussehen, was daraus würde,
wenn sich ihr Beispiel nachahmen ließe. 
Worauf Religion und Dichtung noch bauen könnten, 
was hielte man fest, was ließe man sein,
wer bliebe noch gern im Kreis? 

Glückliche Liebe. Muß das denn sein?
Takt und Vernunft gebieten, sie zu verschweigen
wie einen Skandal aus den höheren Kreisen.
Prächtige Babies werden ohne ihr Zutun geboren.

Sie könnte die Erde, da sie so selten vorkommt,
niemals bevölkern.

So mögen alle, denen die glückliche Liebe fremd ist,
behaupten, es gäbe sie nicht. 

Mit diesem Glauben lebt es und stirbt es sich leichter.

Wisława Szymborska


Sonntag, 12. März 2017

THE TELEPHONE


"When I was just as far as I could walk
From here today,
There was an hour
All still
When leaning with my head against a flower
I heard you talk.
Don't say I didn't, for I heard you say - 
You spoke from that flower on the windowsill -
Do you remember what it was you said?"

"First tell me what it was you thought you heard."

"Having found the flower and driven a bee away,
I leaned my head,
And holding by the stalk,
I listened and I thought I caught the word - 
What was it? Did you call me by my name?
Or did you say - 
Someone said "Come" - I heard it as I bowed."

"I may have thought as much, but not aloud."

"Well, so I came."

Robert Frost

Samstag, 11. März 2017