... salut de nouveau

Wieder auf Reisen.
Du fragst oft nach mir.
Ich telephonier
noch vorm Zubettgehen mit dir.


Freu mich auf den Moment,
wenn ich steh in der Tür,

und du läufst mir jauchzend entgegen.

...

Und dann öffne ich meine Arme für dich.
Ja, dann öffne ich meine Arme für dich!


Dann öffne ich meine Arme, Gerhard Schöne (1992)


Freitag, 30. November 2012

Arbeiten macht müde


Eine Straße überqueren, um fort von zu Hause zu laufen,
das tut nur ein Junge, aber dieser Mann, der den ganzen
Tag auf der Straße herumläuft, ist kein Junge mehr,
und er läuft nicht fort von zu Hause.

                                                                 Nachmittage gibt es
im Sommer, wenn selbst die Plätze leer sind, hingedehnt
unter der Sonne, die schon sinkt, und dieser Mann, der jetzt ankommt
auf der Allee mit den nutzlosen Bäumen, bleibt stehen.
Lohnt es sich denn, allein zu sein, daß man immer noch einsamer wird?
Wenn man nur so herumläuft, sind die Plätze und Straßen
leer. Man muß eine Frau anhalten,
mit ihr sprechen und sie bewegen, zusammen zu leben.
Sonst spricht man für sich allein. Deshalb zuweilen
die nächtliche Trunkenheit, die Gespräche anknüpft
und die Pläne des ganzen Lebens erzählt.


Gewiß nicht durch Warten auf dem verlassenen Platz
begegnet man jemand, doch wer durch die Straßen geht,
bleibt manchmal stehen. Wenn sie zu zweit wärn,
auch wenn sie durch die Straßen gingen, das Haus würde sein,
wo jene Frau ist, und dann lohnte es sich.


Cesare Pavese




Donnerstag, 29. November 2012

Buenos Aires

















 29. November, dem Namen nach
dunkelster Tag. In Buenos Aires
war heller Sommer, als ich vorbei
am Obelisken, die Talcahuano und
die Guido hinauf nach Recoleta ging.
Gewittriger Wind durchbrauste die Luft.
Die Kronen der großen Straßenbäume,
viele voller violetter Blüten wie Flieder,
rasselten und rauschten, und oben war
der Himmel wolkenlos blau. Ein Gewitter
würde es kaum geben, seinen Wind aber
gab es, er wirbelte Blütenduft vor mir her,
und auch das Licht: Schnell wie gedimmt
verfinsterten sich Gesichter, Fenster, und
die zerbeulten Straßenkreuzer, unterwegs
nach Recoleta, schalteten die Scheinwerfer
und die Blumenverkäufer in ihren Häuschen
unter den Bäumen die nackte Glühbirne ein.
Das Licht eines Gewitters, das abwartete,
das blendete, als ich zur Basilika kam und
das schwarze Gusseisentor des Friedhofs
im selben Moment ins Schloss fiel. Ein Park
mit Oleanderbüschen und Bänken lag davor,
Wasserverkäufer sangen »Bombon! Bombon!«,
und ein alter Herr spielte dazu auf der Gitarre
immer aufs Neue dasselbe traurig süße Lied,
dem ein Junge lauschte, der neben ihm saß
mit einem Eichhörnchen auf seiner Schulter.

Mirko Bonné,  Die Republik der Silberfische, Schöffling & Co., 2008, Frankfurt am Main


Mittwoch, 28. November 2012

Das falsche und das wahre Grün


Du wartest nicht mehr auf mich mit dem billigen
Herzen der Uhr. Gleich, ob du das Grau
öffnest oder hältst: es bleiben dornige,
kahle Stunden, mit dem plötzlichen
Schlagen von Blättern auf den Scheiben deines
Fensters, hoch über zwei Wolkenstraßen.
Mir bleibt die Trägheit eines Lächelns,
der dunkle Himmel eines Kleides, der rostfarbne
Samt um deine Haare geschlungen
und gelöst auf den Schultern, und dies dein Gesicht
in kaum bewegtes Wasser versunken.


Schläge rauhgelber Blätter,
wie Vögel von Ruß. Andere Blätter
bersten nun die Zweige und schnellen schon los,
ineinander verschlungen: das falsche und wahre Grün
des April, jenes entfesselte Grinsen
des sichern Erblühns. Und du blühst nicht,
treibst keine Tage, noch Träume, die aus unserem
Jenseits steigen. Hast nicht mehr deine kindlichen
Augen, hast nicht mehr zarte Hände,
mein Gesicht zu suchen, das mir entflieht?
Es bleibt die Scheu, Verse zu schreiben
ins Tagebuch oder einen Schrei auszustoßen
ins Leere oder in das unbegreifliche Herz, das
mit seiner abschüssigen Zeit noch kämpft.

Salvatore Quasimodo


Dienstag, 27. November 2012

Carte blanche.






Ja doch. Es ist einiges da. Vom kleinen
Trauma bis zum grossen Trend. Silben
aus aller Welt. Sandkörner. Pigmente.
Der Statist schaut vielsagend. Kneift ein
Auge zusammen. Na los. Ich höre nichts.
Ich staune. Die Souffleuse spricht lauter.
Ein Schwarm von Schutzengeln fliegt auf.

Brigitte Fuchs


















Montag, 26. November 2012

Klar und verlassen


Klar und verlassen gehen die Morgen
hin. So taten einst
deine Augen sich auf. Langsam
verstrich der Morgen, ein Abgrund
unbeweglichen Lichts. Er schwieg.
Du Lebendige schwiegst; unter deinen Augen
lebten die Dinge
(kein Leid, kein Fieber, kein Schatten)
wie ein Meer am Morgen, so klar.

Wo bist du, Licht, es ist Morgen.
Du warst das Leben und die Dinge.
In dir atmeten wir, wach
unterm Himmel, der noch in uns ist.
Ohne Leid, ohne Fieber,
ohne diesen schweren Schatten des
Tags voll Getümmel, so anders. O Licht,
ferne Klarheit, angstvolles Atmen,
richte die unbewegten,
klaren Augen auf uns.
Dunkel vergeht der Morgen
ohne das Licht deiner Augen.


I mattini passano chiari
e deserti. Cosí i tuoi occhi
s’aprivano un tempo. Il mattino
trascorreva lento, era un gorgo
d’immobile luce. Taceva.
Tu viva tacevi; le cose
vivevano sotto i tuoi occhi
(non pena non febbre non ombra)
come un mare al mattino, chiaro. 
Dove sei tu, luce, è il mattino.
Tu eri la vita e le cose.
In te desti respiravamo
sotto il cielo che ancora è in noi.
Non pena non febbre allora,
non quest’ombra greve del giorno
affollato e diverso. O luce,
chiarezza lontana, respiro
affannoso, rivolgi gli occhi
immobili e chiari su noi.
È buio il mattino che passa
senza la luce dei tuoi occhi.
Cesare Pavese

Sonntag, 25. November 2012

Vive le réalisme... oder so.


Bevor die Sonne kommt, geht ein Schauer durch die Menschen.
Nicht weil sie vielleicht Kinder der Nacht sind,
sondern weil das Quecksilber vor Sonnenaufgang um einige Grade sinkt.

Ödön von Horváth








Samstag, 24. November 2012

[Träume]


Träume führen uns oft in Umstände und Bequemlichkeiten hinein, in die wir wachend nicht leicht hätten können verwickelt werden, oder lassen uns Unbequemlichkeiten fühlen, welche wir vielleicht als klein in der Ferne verachtet hätten, und eben dadurch mit der Zeit in dieselben verwickelt worden wären. Ein Traum ändert daher oft unseren Entschluß, sichert unsern moralischen Fond besser als alle Lehren, die durch einen Umweg ins Herz gehen.

Georg Christoph Lichtenberg, aus den Sudelbüchern

Für M., auch wenn mir einiges manchmal erst später bewusst wird.
L.


Freitag, 23. November 2012

Fehler... und doch keiner.


Ehre deine Fehler als versteckte Absicht!

Brian Eno
                                                                                                     





                                                                                                          

Donnerstag, 22. November 2012

Fragen, Fragen.


Fragen über Fragen? Sind dir Nicht-Antworten auch manchmal lieber? Dinge als Gefragtes im Raum stehen zu lassen, stehen lassen zu können, zu dürfen? Das Recht auf die Nicht-Antwort wäre manchmal nicht schlecht.... à la Rilke: Ihr könnt alles so klar benennen, ihr macht die Worte kaputt, ihr macht MIR die Worte kaputt... Oder der oft gehörte Vorwurf: Du willst ja keine Realistin sein. Ja. Ja! Ich will weiterhin das Recht auf Träume haben, auf Träume, die mir keiner ausreden kann, die in ihrer Utopie schon beinahe erschreckend wahnwitzig sind. Ich möchte ein Recht auf ein gewisses, gutes, wundervolles Quantum Verrücktheit... ja. Wann wird aus Träumen Realität und aus der Realität nur noch ein Traum, schwacher Abglanz von Vergangenem?

Bis bald, liebe Grüße,

L.


Mittwoch, 21. November 2012

Nele und Paul



















Prolog Es roch nach Frau. Ich schlug die Augen
auf und lächelte. Bis ich sah, wo ich war.
Ein fremdes Schlafzimmer. Über mir eine Wanduhr,
deren Ticken mich die ganze Nacht genervt hatte. Auf der 
Kommode neben dem Bett lag kein Zettel. Es duftete nicht 
nach Kaffee. Niemand küsste mich wach. Niemand legte 
sich noch mal zu mir. Niemand verpasste mir einen süßen 
Blick wegen letzter Nacht. 
Nachts ließen One-Night-Stands einen bisweilen vergessen,
dass es nicht die Frau des Lebens war, die da so schön
seufzte. Doch das Morgenlicht rückte das Verhältnis 
zurecht. Bloß zu Besuch.
Ich rollte mich aus dem Bett, griff nach meine Hose und
dachte an Nele. Sie war immer noch die Frau, an die ich
dachte, wenn ich mich bei einer anderen einsam fühlte. 
Vielleicht fühlte ich mich auch bei den anderen einsam, 
weil ich immer noch an Nele dachte. Das ist das Problem
mit der großen Liebe - sie versaut einen für die kleinen.

Michel Birbaek, Nele und Paul, Bastei Lübbe, 2009, Köln

Dienstag, 20. November 2012

gallische feldwespen

Ich sah sie sterben am nachmittag
kleine tapfere gallierinnen
waren lautlos und friedlich
hab sie erst gar nicht bemerkt
suchten sich die wärmste stelle
im hohlen balkongestänge

später hab ich sie gezählt
gab ihnen namen von eins bis zwanzig
hab mich richtig in sie verliebt
in ihre langen grazilen beine
ihre schlanken hinterleiber
ihre orangenen fühler

kleine tapfere gallierinnen
hielten mir alles vom leib
fliegen stechmücken moskitos
unersättliche killerwespen
drehten in letzter sekunde ab
als wären die blumenkästen tabu

tapfere kleine gallierinnen
mümmeln sich immer enger zusammen
zu siebt zu acht stirbt es sich leichter
der herbststurm fegt durch die ritzen
stündlich nimmt er eine mit
die andern schmiegen sich ans gestänge

werden die nacht nicht überstehn
aber den whiskytod lehnen sie ab
götterblut lehnen sie ab
zuckerwasser ahornsirup
blütenhonig fehlanzeige
tough bis zuletzt keinen deal

tapfere kleine gallierinnen
ich sah die versteinerten flügel im wind
ich sah erzitternde körper
sah wie die hand nach ihnen griff
ich mach euch ein zeichen an meine tür
hier könnt ihr wohnen.

Michael Basse, Prachtmenschen, Verlag Ralf Liebe, Weilerswist 2008, Weilerswist


Montag, 19. November 2012

Fuchen und sinden


neue menschen an den seiten
heißt dass die mitte
flankiert wird
und so das ganze neu.
nicht alle sieben jahre
wie volksmund
biologen es versprechen
dauernd passiert es
und ein mensch an der seite
ein seiteneinsteiger
reicht aus
um nebenbei,
fast nonchalant
das ich zu spiegeln
und zu ändern
ein anderer macht alles
anders
das andere
ist das neue
das uns selbst erneuert
solange wir noch offen sind
im sehen, denken und
im fühlen, du fühlst dich
wieder und wohl
nimmst schwung und schwingst
ins zwischenland
von tag und nacht
alltag und eintag
jetzt oder nie
gehst hand in hand
im hintergrund musik
der soundtrack des lebens
grüßt schwedisch oder portugiesisch
den linken linken platz
der nun nicht mehr mit leere prahlt
sondern besetzt ist wie bestellt
das geschenk des zufalls
das immer dann geliefert wird
wenn wir den wunschzettel
verlieren, wenn wir uns
lassen und zulassen
dass ist, was ist
und so ist
wie es
muss.

wer sich sinden lässt
braucht sich nicht
länger
fuchen.

Helgo, Januar 2011


Sonntag, 18. November 2012

die häuser in meiner straße

die häuser in meiner straße
eine höhle im gebirge
der garten rot mit blumen
der bootssteg dort am strand
die blockhütte der schäfer
das nest, das an dem ast hängt
das helle am grund des brunnens
die rauchwölkchen über der ebene

die verkaufsstände des markts
die sitzbank auf dem dorfplatz
der weg zwischen den feldern
die verlassene fabrik

das eck unter der brücke
der quell der gefundenen quelle
die vorhalle des bahnhofs
das gelbe stroh im stall

der schatten des einzelnen pfirsichbaums
der staub der karawane
und das licht des horizonts
und der entfernteste stern

das alles ist mein zuhause und alles
war mir, ist mir, wird ein zuhause mir sein
so als säh ich die frische
wäsche der großmutter flattern

Enric Casasses, vier nach. Katalanische Lyrik nach der Avantgarde, Lyrik Kabinett, 2007, München






Samstag, 17. November 2012

leuchtend und fern
















jedes fest das wir feiern | es gilt einem gipfel |
wir jubeln und lachen und tanzen vor freude|
doch keiner kann sagen | ob wir schon oben gewesen|
wir helden der welt wir ziehen voll wunderns dahin
und denken doch immer: hinauf! |

aber das basislager ist unsere sphäre | träume der rest |
wie viele gipfel von wolken verborgen!
sie ragen auf in unserem wünschen das nie uns verließ |
manchentags sitzen wir müde am fenster |
ein kind radelt leise singend vorüber | die wolken
stehn leuchtend und fern: ein weißes gebirge

Jörg Bernig, wüten gegen die stunden, Mitteldeutscher Verlag, 2009, Halle


Freitag, 16. November 2012

mein jahrhundert

friedenstauben begehen noch immer selbstmord
dazwischen
der gesang der marionetten
das gold in den mausefallen
das lindengrüne cabrio

der jagende affe aus dem park
und der plötzliche haustod
und das wiedersehen der flegel
und das gebüsch auf der haut
und die flucht in gefechte
und die haare auf den zähnen
ein lineal im ohr erinnert
an die endlichkeit des lebens

und das erdöl im blut
und die schmerzen in den zellen
und die geköpften blumen
und die gespitzten tränen
und die fäulnis der launen
und die wirklichkeit des mundes
und die messer der blinden
die suche nach licht
erscheint schier unmöglich
und die liebe geht stiften
wie immer

Joschi Anzinger



Donnerstag, 15. November 2012

DIE TAGE WERDEN LANGSAM WIEDER KÜRZER

So wie das Schweigen länger wird, aber nicht schöner.
Als wäre etwas ausgegangen Stück um Stück.
Etwas, um das man die Nachbarn nicht bittet.

Bedeutendes fehlt und auch der Mut, laut zu sein.
Und selbst mit andren Worten wäre dies kein Lied, das
jemand singt für dich und gegen sein eigenes Schweigen.

Was könnte man sagen zum Staub auf den Lidern,
zum Verramschen des Nichts, zu den Ufern des Lichts
auf dunklen Dächern. Unter denen wir sitzen

und Schindeln befragen: nach Dichte und Sturm
und der Stille danach. Nach dem, was nur
in der Luft liegt. Die Sache mit unsrem Alleinsein

müssen wir lernen. So wie man Sonne lernt oder
den Regen, an dessen Tropfen Licht sich beugt wie
eine Hoffnung, unter den Flügeln behaupteter Hähne.

Lydia Daher, Insgesamt so, diese Welt, Verlag Voland & Quist 2012; Dresden und Leipzig


Mittwoch, 14. November 2012

in meiner hand


ein klimpern
wenn ich zum bäcker gehe
zur bank
in den park
eine zeitung kaufe
für etwas neues und
sei es nur das wetter
ein klingeln
wenn ich heimkäme
zu dir
oder mir
ohne schlüssel-
bund und diesem
kalten klatschen

Kilian Bode


Dienstag, 13. November 2012

Abschied

ABSCHIED und den
unvermeidlichen Apfel annehmen

den Klang vergessen
von Matsch unter nackten Füßen

die Summe errechnen
der gefallenen Sternschnuppen

die Tiefenschärfe messen
der unter die Haut gehenden Fragen:

die schwerelosen Wege verlassen
und ausziehen nach eigenen Wunden

Achim Bonk






Montag, 12. November 2012

LA SALLE DES PAS PERDUS

Die Wartehalle in der Gare Saint Lazare heißt
Der Saal der Verlorenen Schritte.
Ich war nie in Paris. Oft genügt schon
ein einziger Pernod, ein Gläschen Calvados,
um einen Engel ohne Flügel zu treffen.

Es gibt dunkle Romanzen, die nur in Paris beginnen,
und andere enden nur dort: Verdammte Seelen,
die einander begegnen, sich wieder verlieren.
Im Saal der Verlorenen Schritte spüren sie
die Vergeblichkeit allen Sehnens.

Manche dieser Verirrten sind noch so jung,
daß man sie für en Sohn oder Neffen
ihrer mondänen Gefährtinnen hält.
Immer sehe ich sie mit den Augen der Frauen.
Egal, ob diese nur älter oder schon alt sind.
Wann & wo die Engel ihre Flügel verloren haben,
weiß der Himmel, und auch die Romane
schweigen sich aus. Es ist besser,
keinen Gedanken daran zu verschwenden.
Andere Rätsel wollen gelöst werden.
Heute sah ich dich nackt über die Gleise gehen.
Du hattest dich in der Dusche verschanzt,
gerüstet für einen Marathon. Keine Chance,
deine Ungeduld zu bezähmen.
Reich mir endlich das Shampoo!, riefst du.

Thomas Böhme, Heikles Handwerk, poetenladen, 2010, Leipzig



Sonntag, 11. November 2012

das leben der anderen


der kauz auf dem flohmarkt
verkauft antiquitäten
wie nietzsche und kant

für meinen zehner
hat er kein wechselgeld
passend

können Sie mir das mal kleinmachen?
frage ich den fleischer
er schaut auf meinen hund

und während dieser immer noch
hartnäckig an einer metapher knabbert
fällt in china ein reißwolf um

Kilian Bode



Samstag, 10. November 2012

memento


wird wer erzählen von uns
wissen von unseren gesten
wie bleibt das erhalten?
und die zeit die wir waren
am ende bekommt sie die namen
von generälen von hungersnöten
von kollaps von aufstand
und das ganz ohne einspruch
und keiner weiß mehr
wie du die hand hieltst
und welchen schatten sie warf
auf dein gesicht blicktest du
gegen die sonne

Jörg Bernig, wüten gegen die stunden, Mitteldeutscher Verlag, 2009, Halle

Freitag, 9. November 2012

Niedrige Häuser


NIEDRIGE HÄUSER sind es, in denen das Glück wohnt.
Der Salzstreuer auf dem Tisch ist gefüllt. Licht brennt,
und der Geruch von Pfeifentabak zieht durch die Räume.
Der Wein hat Aroma und Farbe der heimischen Böden.
An der Wand eine Spinne, nein zwei, und die Schutzheiligen
wachen in ihren Nischen, in den Ställen rumort das Vieh.
Der Wind, der vom Meer kommt, trägt die Namen
längst vergessener Götter wieder an Land.
Flache Dächer, vom Rauch der Kamine geschwärzt,
ein klappriger Lieferwagen lehnt an der Mauer.
Das Radio bringt Nachrichten in einer fremden Sprache,
nachdem die vertraute Musik plötzlich abbricht.
Die Kinder schlafen jetzt, und die Liebenden warten,
daß auch die Alten zu Bett gehn. Die Kerzen sind
runtergebrannt. An den Fenstern klappern die Läden,
die Treppe knarrt. Die Stiefel stehen neben der Tür.

Thomas Böhme, Nachklang des Feuers, Druckhaus Galrev, 2005, Berlin



Donnerstag, 8. November 2012

Vom Schwimmen im Glück


Sah zuletzt dass mein glücklich
schwimmender Körper sanft beschleunigt
gegen den Felsen gehoben wurde
Die Sonne floss ins Wasser zurück

Christoph Wilhelm Aigner, Vom Schwimmen im Glück, DVA, 2001, München





Mittwoch, 7. November 2012

Fragen


Jede Antwort schließt die Tür zu der Welt, die die Frage aufgestoßen hat.

[Danke an den unbekannten Buchkäufer & Zirkuspädagogen, 
der mir heute diesen Gedanken vermachte.]



Dienstag, 6. November 2012

IV




























Sturmgeladen ist der Morgen
im Herzen des Sommers.

Wie weiße Abschiedstüchlein wallen die Wolken,
es schwenkt sie der Wind mit reisefiebrigen Händen.

Zahlloses Herz des Windes,
das pocht über unserem verliebten Schweigen.

Es braust zwischen den Bäumen, göttlich, wie ein Orchester,
wie eine Sprache voller Kriege und Gesänge.

Wind, der in raschem Raub das raschelnde Laub entführt  
und die zuckenden Vogelpfeile aus ihrer Bahn wirft. 

Wind, der es niederwirft als Welle ohne Gischt,
als Wucht des Schwerelosen, geducktes Flammenlodern. 

Es birst und versinkt als Masse von Küssen,
zerschmettert an der Pforte des Sommerwindes. 

Pablo Neruda




 

Montag, 5. November 2012

tagelang

                                          tagelang möchte ich um diese Ecke biegen
                                          nur um dich auftauchen
                                          und wieder verschwinden zu sehen

                                                    Sabina Naef







Sonntag, 4. November 2012

oder tau


meine hand ist ein toter fisch morgens
auf deiner brust treibt er
seitlings die nacht flog
ein fischreiher auf

meine augen zwei schaukelnde kanus in
den knappen wellen des taglichts dir sitzt
ein toter fisch wie ein alp auf der brust
wie ein fisch an der luft schnappst du zuckst
zurück vor den brüdern der eine
heißt schlaf sie paddeln
mit einvernehmlichen schlägen bei jedem
knüpfen sie blitzende schnüre
tropfen für tropfen in den fluss

meine hand ist ein toter fisch
morgens silbern die schuppen im schilf
ungefangen schwappt er auf deiner brust
ans ufer das schilf fackelt lange

judith zander, oder tau, dtv, 2011, münchen


Samstag, 3. November 2012

engelsgeschichte

ich möchte im winter sterben,
wenn die asche des schnees beginnt,
hat mir der mann aus dem fenster erzählt,
der seine tage darin verbrachte.
er hatte sich alles vergeben und schlug
licht mit seinen flügeln zusammen,
und hielt sie offen im schnee.
ich stand oft darunter und roch
seine weiße stimme, die dann herabfiel.
in meinem schweigen nannte ich ihn
mit leeren händen den engel.
er hat mir oft von den lippen gelesen
und mit den worten verglichen.
ich hab ihm geglaubt. das war unser versteck.
was bleiben wird, ist nie gewesen.
zwischen seinen augen ging mein blick auseinander.
die straße wurde gesperrt, das haus entsteint.
ich liebe ruinen, sie haben geduld,
war das letzte, was ich von ihm hörte.
ohne beine trugen sie ihn.
er starb, ohne noch einmal zu sprechen.
ich ging aus dem haus, nahm ein zimmer
am see, sah kaum aus dem fenster,
nur im winter dem schnee nach,
wenn er im wasser verbrannte. 

andreas altmann 

Freitag, 2. November 2012

V

Damit du mich erhörst,
machen sich meine Worte
manchmal so zart
wie die Spuren der Möwen auf dem Strand.

Halskette, trunknes Klimperglöckchen
für deine Hände, sanft und glatt wie Weinbeeren.

Und ich sehe sie fern von mir, meine Worte.
Deine sind sie mehr als meine.
Sie klettern an meinem alten  Schmerz empor wie Efeu.

An den feuchten Wänden klettern sie empor.
Du bist schuld an diesem blutigen Spiel.

Sie fliehen aus meinem finsteren Bau.
Alles erfüllst du, alles, alles.

Einst bevölkerten sie die Einsamkeit, die nun du bewohnst,
und sie sind mehr als du vertraut mit meiner Traurigkeit.

Jetzt will ich, daß sie sagen, was ich dir sagen will,
damit du sie so hörst, wie ich möchte, daß du mich hörst.

Der Wind der Angst reißt sie noch immer von hier nach dort.
Traumorkane werfen sie manchmal zu Boden.
Andre Stimmen vernimmst du in meiner gepeinigten Stimme.
Schluchzen von alten Mündern, Bluten von alten Bitten.
Liebe mich doch, Gefährtin. Verlaß mich nicht. Sei mit mir.
Sei mit mir, Gefährtin, in dieser Woge von Angst. 

Doch langsam nehmen meine Worte die Farbe deiner Liebe an.
Alles besetzt du, alles, alles.

Ich werde aus allen eine endlose Kette machen
für deine weißen Hände, sanft und glatt wie die Weinbeeren.

Pablo Neruda






Donnerstag, 1. November 2012

Nie mehr oder weniger

Willst du in Frieden
mit dir selbst leben,
versuche nicht, mehr zu sein,
als du bist,
aber sei das, was du bist,
ganz.

Richard Wagner