... salut de nouveau

Wieder auf Reisen.
Du fragst oft nach mir.
Ich telephonier
noch vorm Zubettgehen mit dir.


Freu mich auf den Moment,
wenn ich steh in der Tür,

und du läufst mir jauchzend entgegen.

...

Und dann öffne ich meine Arme für dich.
Ja, dann öffne ich meine Arme für dich!


Dann öffne ich meine Arme, Gerhard Schöne (1992)


Dienstag, 31. Juli 2012

Brüssel


Von allem, was ich geschaffen, von allem, was ich verlor,
von allem, was ich mit Bestürzung gewann,
an bitterem Eisen, an Blättern, kann ich etwas fortgeben.
Eine aufgestörte Begierde, einen Strom, den die Federn
der brennenden Adler bedecken, ein schwefliges Schrumpfen von Blütenblättern.

                  Mir verzeiht schon nicht mehr das ganze Salz,
nicht das tägliche Brot, nicht die kleine vom Meeresregen verschlungene Kirche
noch die vom heimlichen Schaum zernagte Kohle.

Ich habe gesucht und gefunden, mit Beschwer,
unter der Erde, zwischen den furchtbaren Leibern,
wie ein Zahn aus bleichem Holz
kommend und gehend unter der harten Säure,
neben den Stoffen der Agonie, zwischen Mond und Messern,
zur Nachtzeit sterbend.

                                     Jetzt, inmitten
der unterschätzten Geschwindigkeit, neben
den unterbrochenen Mauern,
im Grunde von den Schlüssen gefällt,
bin ich hier mit dem, was Gestirne verliert,
pflanzenhaft, verlassen.

Pablo Neruda




Montag, 30. Juli 2012

X, n. - x, n.


 
 
 
   Kommt es dir nicht merkwürdig vor, dass wir einen Buchstaben im Alphabet haben, den keiner benutzt? Er stellt ein Sechsundzwanzigstel der Möglichkeiten unserer Sprache dar, und wir lassen ihn einfach so dahindümpeln. Wenn du und ich wirklich und wahrhaftig die Welt verändern wollten, würden wir mehr Wörter erfinden, die mit X anfangen.

David Levithan, [das] Wörterbuch der Liebenden {Roman}, Graf Verlag, 2010, Berlin
 
 
 
 
 
 
 
 

Sonntag, 29. Juli 2012

Stand. Punkt. ...

  






Je länger ich über die Frauen nachdenke, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass sie das Beste sind, was wir in dieser Art haben.

Georg Christoph Lichtenberg














Samstag, 28. Juli 2012

defunct, adj. - ausgedient, Adj.


 
 
 
 
 
 



Du brachtest mir eine Schreibmaschine mit.

David Levithan, [das] Wörterbuch der Liebenden {Roman}, Graf Verlag, 2010, Berlin
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 

Freitag, 27. Juli 2012

...


Woge auf Woge rollt eilig
Ihre grüne Bewegung aus
   Und zischt weiß ihren Schaum
   An die dunklen Gestade.

Wolke auf Wolke reißt langsam
Ihre runde Bewegung auf,
   Und Sonne erwärmt den Luft-
   Raum zwischen den spärlichen Wolken.

Gleichgültig gegen mich wie ich gegen sie,
Ändert die Natur dieses stillen Tages
   Wenig an meinem Empfinden,
   Daß die Zeit verfliegt.

Nur ein vager, wankelmütiger Kummer
Bleibt kurz vor meiner Seele stehen,
   Betrachtet mich flüchtig
   Und geht, lächelnd über nichts.

                                                                                            Fernando Pessoa

 

Donnerstag, 26. Juli 2012

Und wieder ankommen, zu Hause.

  

   Die alten dänischen Buchen stecken die Köpfe zusammen und schwängern die Luft mit ihren Düften. Es ist der stärkste Duft, den ein Baumwald ausatmen kann, es ist, als verdichte er sich und schwebe dann nieder, drückend und schwer. Vom Sund herüber kommt ein schwaches, eintöniges Rauschen, matt und gedämpft, fast nur das Echo eines Rauschens, das zittert herüber und verhallt leise im Wald. Über den Boden gleiten die weichen Schatten der Buchenkronen, und dazwischen spielt das helle, warme Sonnenlicht. Und das alles, der Buchenduft und das Rauschen des Sundes und die Schatten und die Lichtstrahlen, verwebt sich zu einer großen, ruhig-machtvollen Eintönigkeit, die etwas Geheimnisvolles, Schwermütiges in sich birgt.

Theodor Wolff im Vorwort zu Jens Peter Jacobsens Roman „Niels Lyhne“
(Berlin im Februar 1889)
 


Mittwoch, 25. Juli 2012

Die Jahre von dir zu mir



Wieder wellt sich dein Haar, wenn ich wein. Mit dem Blick deiner Augen
deckst du den Tisch unsrer Liebe: ein Bett zwischen Sommer und Herbst.
Wir trinken, was einer gebraut, der nicht ich war, noch du, noch ein dritter:
wir schlürfen ein Leeres und Letztes.

Wir sehen uns zu in den Spiegeln der Tiefsee und reichen uns rascher die Speisen:
die Nacht ist die Nacht, sie beginnt mit dem Morgen,
sie legt mich zu dir.

Paul Celan



 


Dienstag, 24. Juli 2012

Und ein stiller Tag.

 

   Auch für zahllose andere Menschen, als ich einer bin,
wird eine Zeit kommen, in der sie sich nach einem Lande sehnen
und zu einem Fleck Erde flüchten, wo die moderne Kultur, Technik,
Habgier und Hetze noch eine friedliche Stätte,
weit vom Lärm, Gewühl, Rauch und Staub der Städte,
übriggelassen hat.
 
Ludwig II. an Anton Memminger
 
 

Montag, 23. Juli 2012

Le fil des jours

Il fait bon vivre
à l’ombre des jardins
dans le parler des feuilles
et la douceur retrouvée
On pense
à des soleils très purs
capables de nous emporter
au-delà de la haie
parmi les fleurs sauvages
qui n’ont pas de nom
Mais on reste là
à l’abri de son arbre
comme un coquillage
enfoui dans sa terre
Et soudain
une envolée plus claire
nous ouvre le paysage
qu’on attendait.

Marilyse Leroux




Sonntag, 22. Juli 2012

Lebenslied

Ich plane die Schmerzen mit ein,
Ich atme den Rauch, der mich aufkratzt und nährt,
Ich schwärze die Lungen mir ein.
Weiß: Leben ist nicht Artigsein.
Ich höre die Warnungen, die man spricht,
ABER VERZICHTEN WILL ICH DRAUF NICHT!

Ich plane das Herzweh mit ein,
Ich schmiege mich, Liebste, fest an deinen Leib.
Weiß: Das wird nicht für immer sein.
Ich höre die Zeit ticken in uns zwein.
Die Schwüre auf Treue,die glaub ich nicht,
ABER VERZICHTEN WLL ICH DRAUF NICHT!

Ich plane den Ärger mit ein.
Ich melde mich unangemeldet zu Wort.
Mein Herz ist nicht klein,bin nicht klein.
Ich will einfach dagewesen sein!
Wird heiser die Stimm mir auch, bis sie bricht,
ABER VERZICHTEN WILL ICH DRAUF NICHT!

Ich plane den Kummer mit ein.
Ich liebe mir Kinder her auf diese Welt.
Verlieb mich in ihr Lachen und Schrein.
Ich will einfach nochmal lebendig sein.
Und nehmen sie Zeit und Platz mir, so ist's,
ABER VERZICHTEN WILL ICH DRAUF NICHT!

Ich plane den Kater mit ein.
Ich trinke den Boden der Gläser ans Licht.
Weiß: Früh werd ich zerschlagen sein.
Ich tanze, ich singe, ich schenk mir ein,
Und rechne nicht aus, was mich würgt, was mich bricht,
ABER VERZICHTEN WILL ICH DRAUF NICHT!

Ich plane die Sorge mit ein.
Ich greife verlockend weit aus meiner Zeit.
Ich träume mir das Anderssein.
Will leben, eh mich Gewöhnung zuschneit.
Mag sein, dass man später ganz anders ist,
ABER VERZICHTEN WILL ICH DRAUF NICHT!

Hans-Eckhardt Wenzel



Nein, sicher, ganz sicher, kann man sich nicht sein, aber verzichten mag ich darauf nicht.
Gerade jetzt gleich gar nicht.
Luise

Samstag, 21. Juli 2012

Blaue Hortensie

So wie das letzte Grün in Farbentiegeln
sind diese Blätter, trocken, stumpf und rauh,
hinter den Blütendolden, die ein Blau
nicht auf sich tragen, nur von Ferne spiegeln.

Sie spiegeln es verweint und ungenau,
als wollten sie es wiederum verlieren,
und wie in alten blauen Briefpapieren
ist Gelb in ihnen, Violett und Grau;

Verwaschnes wie an einer Kinderschürze,
Nichtmehrgetragnes, dem nichts mehr geschieht:
wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze.

Doch plötzlich scheint das Blau sich zu verneuen
in einer von den Dolden, und man sieht
ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen.
Rainer Maria Rilke


Danke, P., für das Glück dieses Zufalls.




Freitag, 20. Juli 2012

Certezza


Ich möchte nur Gewissheit, Klarheit. Unsere Leben bestehen aus kleinen Bausteinen, ähnlich jenen, mit denen kleine Kinder spielen. Wir, nur wir, als Erwachsene, jetzt; sind in der Lage, allein zu bestimmen. Wir bauen nicht nur damit, wir können sie anmalen, ihnen eigene, neue Formen geben, wir können schöpfen, wir sind primär beteiligt und nicht nur sekundäre Nutznießer. Wir sind frei, frei in Gedanken. Und frei im Handeln, würdest du sagen oder irre ich mich da? Würdest du sagen und damit alles zu relativieren, beschwichtigen, erklären versuchen. Bist du dir denn so sicher?

L. a M., il 10 giugno 2012
Grazie per la tua risposta, letto, ma mai risposto. Luise


Donnerstag, 19. Juli 2012

Meermittag


Das ist süß wie Traum und Tod:
Von Glut und Stille müd und schwer
Zu ruhn in einem Fischerboot
Im herben Duft von Salz und Teer.
Der kurzen Pfeife Wolkenspiel
Folgt lang das Auge ohne Ziel,
Bis es gebannt und müde ruht
In blauer Mittagssonnenglut.
Da segeln hoch in stetem Ziehn
Die weißen, losen Wolken hin,
Fernher mit kaum gehörtem Pfiff
Gibt Kunde seiner Fahrt ein Schiff.

Die Flut in träumerischem Spiel
Verlecht mit dumpfen Laut am Kiel;
Das schlaffe Segel feiert leer
Die Netzeschnur schleift hinterher.

Und alles, was dich sonst bewegt,
Und alles, was in Glück und Weh
Dir irgendwann das Herz erregt,
Ruht tief und schlummert in der See.
Dein Herz, so wild es sonst gebrannt,
Wird wieder still, wird wieder Kind
Und ruht wie Sonne, Meer und Wind
In Gottes Hand.

Hermann Hesse

Mittwoch, 18. Juli 2012

...


Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.

Joseph von Eichendorff





Dienstag, 17. Juli 2012

Bevor ich sterbe


Noch einmal sprechen
von der Wärme des Lebens
damit doch einige wissen:
Es ist nicht warm
aber es könnte warm sein

Bevor ich sterbe
noch einmal sprechen
von Liebe
damit doch einige sagen:
Das gab es
das muß es geben

Noch einmal sprechen
vom Glück der Hoffnung auf Glück
damit doch einige fragen:
Was war das
wann kommt es wieder?

Erich Fried

http://www.youtube.com/watch?feature=endscreen&v=HzEeBQDmofY&NR=1

Bald, wieder, zwischendurch, wer weiß. L.

Montag, 16. Juli 2012

Schießbefehl


   "Ich fahre zum Vater, sagt er, nimmt das Motorrad, und ich denke, warum kommt er denn nicht wieder, wo der bloß bleibt, langsam werde ich unruhig, da kommen die und sagen, ich soll nach P. kommen, er hat über die Grenze gewollt, und sie haben ihn erwischt. Also bin ich mit dem nächsten Zug nach P. gefahren, er hat schon gestanden, sagen sie, und als ich mich nicht mehr beherrschen konnte und mir die Tränen kamen, haben sie gesagt, machen Sie sich keine Sorgen, gute Frau, Ihr Gerhard lebt, er hat gut gegessen und jetz schläft er. Und wenn's während der Armeezeit gewesen wäre, wär's schlimmer. Er hatte doch gerade erst seinen Facharbeiter mit Abitur gemacht, und am Montag sollte er einrücken... Und dann, am Montagnachmittag, kommen die von hier und sagen, ich soll am Dienstag nach P. kommen. Ich backe einen Kuchen, kaufe ein, und dann sagen sie mir in P., ob ich denn nichts wüßte, ob denn unsere nichts gesagt hätten, er hat sich erhängt. Mit der Unterhose. Und sie hätten ihm einen Zettel gegeben, ob er mir nicht ein paar Worte schreiben wollte, aber er hätte abgelehnt. Wie er mir das hat antun können... Und sehen darf ich ihn nicht, nur noch kurz vor der Feier, die im Gefängnis stattfindet. Aushändigen können sie mir nur die Urne."

Reiner Kunze


Sonntag, 15. Juli 2012

BLAUE WOLKEN



Blaue Wolken klebten am blauen
Himmel den Pappeldamen vom anderen
Ufer wuchs ein kupfriger Flaum
Letzte Eisenten schmolzen dahin
Und ein Pärchen Tornados
Flog jenseits der Eider.

Sarah Kirsch



Samstag, 14. Juli 2012

Schwalbenhimmel


Leicht ist's,
an den Gestaden
der Sonne zu leben,
mein zarter,
windschneller Vogel.

In der hellen,
offenen Landschaft
mit dem Olivenblatt
bist du zu Haus,
hoch
über dem blauen Bett
der Flüsse.

Was gilt dir schon
der stolze Flug
des Adlers,
das Wetterleuchten
in den Augen
der Eule?
Beim Ulmenlicht
der Nacht
kehrst du zurück
ins Dorf,
die Häusliche
hat man dich genannt.

Meine rauchblaue
Königin,
mit dir will ich wohnen
an einem Fluß,
der niemals
dunkelt.

Hanns Cibulka


Freitag, 13. Juli 2012

Zu guter Letzt


Als Kind wusste ich:
Jeder Schmetterling
den ich rette
jede Schnecke
und jede Spinne
und jede Mücke
jeder Ohrwurm
und jeder Regenwurm
wird kommen und weinen
wenn ich begraben werde

Einmal von mir gerettet
muß keines mehr sterben
Alle werden sie kommen
zu meinem Begräbnis

Als ich dann groß wurde
erkannte ich:
Das ist Unsinn
Keines wird kommen
ich überlebe sie alle

Jetzt im Alter
frage ich: Wenn ich sie aber
rette bis ganz zuletzt
kommen doch vielleicht zwei oder drei?

Erich Fried

https://www.youtube.com/watch?EWx4

Donnerstag, 12. Juli 2012

(Mögliche Erkenntnis...)









Ich war elf, und später wurde ich
sechzehn. Verdienste erwarb ich
mir keine, aber das waren die
wunderbaren Jahre.

Truman Capote, Die Grasharfe













Mittwoch, 11. Juli 2012

Weg



Schlagen wir
den nützlichen geduldigen Weg wieder ein
tiefer als die Wurzeln den Weg des Samenkorns
das gedrängte Wunder mischt Karten
aber es gibt kein Wunder
nur die Kraft der Samenkörner
ihrer ausreifenden Hartnäckigkeit gemäß

sprechen heißt das Samenkorn begleiten
bis zum schwarzen Geheimnis der Zahlen

Aimé Césaire


Dienstag, 10. Juli 2012

Spar deinen Wein nicht auf für morgen



Spar deinen Wein nicht auf für morgen,
Sind Freunde da, so schenke ein!
Leg, was du hast, in ihre Mitte.
Durchs Schenken wird man reich allein.

Spar nicht mit deinen guten Worten.
Wo man was totschweigt, schweige nicht.
Und wo nur leeres Stroh gedroschen,
da hat dein gutes Wort Gewicht!

Spar deine Liebe nicht am Tage
für paar Minuten in der Nacht.
Hol sie aus ihrer Dunkelkammer,
dann zeigt sie ihre Blütenpracht.

Spar deinen Mut nicht auf für später,
wenn du mal ,,was ganz Grosses" bist.
Dein kleiner Mut hilft allen weiter,
weil täglich Mut vonnöten ist.

Spar deinen Wein nicht auf für morgen,
Sind Freunde da, so schenke ein!
Leg, was du hast, in ihre Mitte.
Durchs Schenken wird man reich allein.

Gerhard Schöne

http://www.youtube.com/watch?v=kC76D213





Montag, 9. Juli 2012

Endstation

Ich stand an der Bushaltestelle
und wartete;
und als der Bus kam, stieg ich ein
und wartete wieder.
Vor mir kümmert sich ein Mädchen um ihren Kerl
und weil ich nichts zu tun hatte, schaute ich zu
wie sie an seinem Hals hing und manchmal nach hinten
schaute zu mir, der nach vorne schaute zu ihr.
Ich stand im Bus,
schaukelte mit den Beinen die Straße aus
und dachte an garnichts;
irgendwann stieg ich aus, ging nachhause
und dachte
,Es gibt nichts, was einen Mann einsamer macht
als das leise Lachen am Ohr eines anderen.'

Wolf Wondratschek

https://www.youtube.com/watch?NR=1&v=hiSy0KHjv2I&feature=endscreen

Sonntag, 8. Juli 2012

Letzte Warnung

Wenn wir nicht aufhören
uns mit unseren kleinen
täglichen Sorgen
und Hoffnungen
unserer Liebe
unseren Ängsten
unserem Kummer
und unserer Sehnsucht
zu beschäftigen
dann geht die Welt unter

Und wenn wir aufhören
uns mit unseren kleinen
täglichen Sorgen
und Hoffnungen
unserer Liebe
unseren Ängsten
unserem Kummer
und unserer Sehnsucht
zu beschäftigen
dann ist die Welt untergegangen

Erich Fried

https://www.youtube.com/watch?--QRBg


Samstag, 7. Juli 2012

Bitte



Laßt mir das Silberfingerkraut.
Laßt mir den Hasenklee.
Laßt mir den kleinen Lerchenlaut.
Laßt mir den Liliensee.
Laßt mir den Sandweg durch die Heide.
Die Kiefer und den Birkenbaum.
Braucht ihr nicht manches Mal auch beide,
Die Weltstadt und den Weltenraum?

Eva Strittmatter

http://www.youtube.com/watch?v=sPU8V-nvUEk


Freitag, 6. Juli 2012

Irgendwann dienstags


Ich hab mir gerade ein Buch gekauft
und mittags was getrunken mit Freunden
und geh jetzt nachhause und schau plötzlich
auf die Dinge und Menschen. als hätte ich nie draufgeschaut,
es ist wie das Anprobieren einer neuen Brille
mit zu starken Gläsern,
vor mir haben die Arbeiter eine Baustelle aufgebaut
und ich habe die Aufgabe mich zurechtzufinden,
ein Taxifahrer bremst nur deshalb, um mir zu zeigen,
daß er mich hätte totfahren können
und dort geht ein Mann die Stufen zur Kirche hoch
und kämmt sich dabei die Haare.
Irgendwann dienstags.
Was will er? Will er beichten? Sucht er Liebe dort in
seiner Einsamkeit? Verflucht er das Leben? Oder liest er
nur die Stromrechnung vom Zähler?

Irgendwann dienstags geht das Telephon
und gleichzeitig klingelt es und einer schiebt ne Zeitung
unter der Tür durch, alle warten auf das Neue, das nicht kommt
oder bereits vergessen ist,
das Buch ist gelesen,
alles ist ein wenig weitergegangen,
im Kino, im Leben,
irgendwo.
Und Gott geht unerkannt nachhause,
duzt die Sünder und betritt menschenscheu
das Paradies.

Wolf Wondratschek

Donnerstag, 5. Juli 2012

Aufforderung



Mit Schmetterlingen
reisen wir im Wind

Mit Forellen
schwimmen wir über Traumkiesel

Mit Murmeltieren
schlafen wir unter den Föhren

Mit den Termiten
beißen wir den Beton

Claus-Peter Lieckfeld

http://www.youtube.com/watch?v=HtTHsBlhdxo


Mittwoch, 4. Juli 2012

Der Bär und der Vogel


Es war einmal ein Bär, der lebte sieben Meilen weg von den Leuten, am Fuße des Berges in einer kleinen, freundlichen Höhle.
Im Sommer ging es ihm gut, verdiente er doch seinen Lebensunterhalt mit Bienenzucht und Honighandel , Beerensammeln und ähnlichen kleineren Arbeiten. Auch mit den Waldleuten vertrug er sich gut, weil er leutselig war, auch niemals hinterlistig oder nachtragend, wenn ihn jemand im Spaß oder aus Versehen gehänselt hatte. Gemeinheit oder Bosheit war ihm fremd und er war für die anderen Tiere so wie ein lieber Großvater. Sie kamen zu ihm und flüsterten ihre Sorgen in sein Ohr, der Bär sagte nie etwas weiter.

Auch im Winter ging es ihm nicht schlecht. Er hatte ja einen warmen Mantel aus Bären fell, und er hatte kleine Vorräte in seiner Höhle angelegt, die fast immer ausreichten. Er hatte Honig, etwas Espenlaub (was zerrieben, mit Pilzen und Schnee angerührt, mit Honig gesüßt, ein wunderbares Bärenmahl ergibt) und er hatte Baumblätter sauber gefaltet unter seinem Kopfkissen gesammelt, auf denen er an langen Winterabenden die Geschichte vom Sommer lesen konnte. 
Nur im letzten Winter, da war es besonders kalt. Der Wind hatte dem Bären den Schnee bis direkt vor das Bett geweht. Die Luft war wie kaltes Glas und die Vögel fielen erstarrt in den Schnee. Und als die Heilige Nacht kam, stand der Mond kümmerlich und blass am Himmel.
Dem Bären war so kalt wie noch nie und er sagte sich: "Es ist so kalt, dass ich es nicht mehr aushalten kann. Ich werde jetzt in die Stadt gehen zu den Menschen. Vielleicht treffe ich einen Bekannten oder finde einen warmen Platz am Ofen oder jemand schenkt mir eine Brotsuppe. Heute ist die große Nacht, da sind die Menschen gut zueinander."
Da hatte er auch Recht.
Er rieb sich die Pfoten, ging vor die Höhle und rief in den Wald: "Geht jemand mit in die Stadt? Es gibt eine warme Brotsuppe und ein schönes Fest. Niemand?"
Bloß das Echo rief zurück: Niemand.
Da ging der Bär allein den Rehweg  entlang, der ja geradeaus zu den ersten Häusern führt. Lieber wäre er nicht allein gegangen, denn der Weg ist besser, wenn man ihn zu zweit wandert. Manchmal blieb er deshalb stehen, hielt die Pfoten an die Schnauze und rief: "Niemand, der mitgeht in die Stadt? Es gibt ein großes Fest."
Aber es gab keine Antwort.
Und als es immer kälter wurde und der Bär nach vorn fiel, in den Himmel sah und dann die Augen schloß, kam ein kleiner Vogel geflogen, setzte sich auf sein Ohr, pickte ihn und sagte: "Kalt ist es, Bär, Könntest du mich ein Stück tragen? Ich kann nicht mehr fliegen wegen der Kälte und ich würde dir ein bisschen vorsingen."
Da stand der Bär auf, nahm den federleichten Vogel auf seine Schulter und sie gingen zusammen in die Stadt. Während sie gingen, versuchte der Vogel ein Lied, so gut es bei der Kälte möglich war. Der Bär lauschte, der Sommer fiel ihm wieder ein, und er ging ganz vorsichtig, um die Melodie nicht zu verwackeln. 
Es war schon mitten in der Nacht, als sie in die Stadt kamen. Hinter den Fenster waren die Kerzen ausgebrannt und die Leute waren unterwegs in die Kirche. Der Bär ging hinter ihnen her und lauschte dem Lied, das der Vogel ihm ganz leise ins Ohr sang. In seinen Augen ging ein kleines Licht auf. Der Vogel sah es, wärmte sich daran und bald schnitt ihnen auch die Kälte nicht mehr so in die Beine. 
Als sie an der Kirche ankamen, ließ der Küster sie nicht hinein. "Bären und Vögel haben hier bitte keinen Zutritt. Das ist die Vorschrift. Auch kann ich keine Ausnahme machen, denn die Kirche ist überfüllt. Kinder und alte Frauen könnten sich ängstigen. Morgen oder übermorgen geht es vielleicht, denn meistens bin ich nicht so streng."
Das Letzte sagte er, weil heute Weihnachten war. 
Aber dem Bären und dem Vogel war das egal. Sie froren nicht mehr und setzten sich neben die Tür. Der Himmel war ihnen wie ein großes Dach und die Welt hatte keinen Anfang und kein Ende. 
Kinder kamen vorbei und sagten zu ihren Müttern und Vätern: "Was ist dort mit dem Bären? Ist er ein verwunschener Prinz oder etwa der Bärenkönig persönlich?" "Kein Prinz und kein König", sagten die Eltern, "wir haben jetzt keine Zeit und morgen werden wir ihm etwas zu fressen bringen. Schluss jetzt!" 
Als der Vogel immer leiser sang und der Bär sah, dass er die Augen zuhatte, verbarg er ihn vorsichtig und warm in seinen Pfoten und rührte sich nicht, um ihn nicht zu wecken. Auch dem Bären fielen bald die Augen zu und er träumte das Lied zu Ende.
Inzwischen kamen die Leute aus der Kirche, gingen vorbei und nach Haus, denn das Fest hatte sie müde gemacht. Die Kirchentür wurde verschlossen und der Küster hatte Feierabend. 
Als die Nacht aber am höchsten war, kam ein Engel vorbei und trug die beiden zurück in einen Wald, in dem es niemals wieder so kalt wurde. 


Janosch, Das große Janosch-Buch, 1976, Basel / Weinheim, Beltz und Gelberg


http://www.youtube.com/watch?v=tq0QdTZ_nuM

http://www.berliner-zeitung.de/archiv/der-schnee-und-die-zeit - Auch im Sommer Lebende sind sich des Winters bewusst... sehr sogar.  
L.





Dienstag, 3. Juli 2012

Wasser und Feuer




























So warf ich dich denn in den Turm und sprach ein Wort zu den Eiben,
draus sprang eine Flamme, die maß dir ein Kleid an, dein Brautkleid:

Hell ist die Nacht,
hell ist die Nacht, die uns Herzen erfand
hell ist die Nacht!

Sie leuchtet weit übers Meer,
sie weckt die Monde im Sund und hebt sie auf gischtende Tische,
sie wäscht sie mir rein von der Zeit:
Totes Silber, leb auf, sei Schüssel und Napf wie die Muschel!

Der Tisch wogt stundauf und stundab,
der Wind füllt die Becher,
das Meer wälzt die Speise heran:
das schweifende Aug, das gewitternde Ohr,
den Fisch und die Schlange –

Der Tisch wogt nachtaus und nachtein,
und über mir fluten die Fahnen der Völker,
und neben mir rudern die Menschen die Särge an Land,
und unter mir himmelts und sternts wie daheim um Johanni!

Und ich blick hinüber zu dir,
Feuerumsonnte:
Denk an die Zeit, da die Nacht mit uns auf den Berg stieg,
denk an die Zeit,
denk, daß ich war, was ich bin:
ein Meister der Kerker und Türme,

ein Hauch in den Eiben, ein Zecher im Meer,
ein Wort, zu dem du herabbrennst.

Paul Celan

Montag, 2. Juli 2012

(2. Mai 1985)




















Die jungen Kiefern wachsen und das Moos
Selbst an der Decke wächst der alte Riß
Komm rase jetzt mein Herz 's geht wieder los
Und was nicht gut zu machen ist vergiß

Hans-Eckardt Wenzel

http://www.youtube.com/watch?v=GOqBPayyY-U

Sonntag, 1. Juli 2012

Dann

Wenn dein Glück
kein Glück mehr ist
dann kann deine Lust
noch Lust sein
und deine Sehnsucht ist noch
deine wirkliche Sehnsucht

Auch deine Liebe
kann noch Liebe sein
beinahe noch glückliche Liebe
und dein Verstehen
kann wachsen

Aber dann will auch
deine Traurigkeit
traurig sein
und deine Gedanken
werden mehr und mehr
deine Gedanken

Du bist dann wieder du
und fast zu sehr bei dir
Deine Würde ist deine Würde
Nur dein Glück
ist kein Glück mehr.

Erich Fried

https://www.youtube.com/watch?v=J40rMIN6xvQ