... salut de nouveau

Wieder auf Reisen.
Du fragst oft nach mir.
Ich telephonier
noch vorm Zubettgehen mit dir.


Freu mich auf den Moment,
wenn ich steh in der Tür,

und du läufst mir jauchzend entgegen.

...

Und dann öffne ich meine Arme für dich.
Ja, dann öffne ich meine Arme für dich!


Dann öffne ich meine Arme, Gerhard Schöne (1992)


Mittwoch, 21. Dezember 2011

Ein Jahr älter, tiefer und lebendig.

LE TEMPS est un meurtrier
Et mon amant
Ich werde nicht aufhören,
Ihr freche Fragen zu stellen
Et de l'inquiéter avec
Mon impatience
Warum sind dir die Antworten
So teuer und so unerträglich?
Je danse, sous mes pieds nus
Des vieilles photographies en noir et blanc
Wahrscheinlich deine.
De quoi rêvais-tu?
Ich träumte von Zeit.
Ich träumte.












DIE ZEIT ist eine Mörderin
Und meine Geliebte
Je n'arrêterai à lui poser
Des questions insolentes
Und sie mit meiner Ungeduld
Aus der Fassung zu bringen
Pourquoi les réponses te sont-elles
Si chères et si insupportables?
Ich tanze, unter meinen nackten Füßen
Alte Photographien in Schwarz-Weiß
Probablement les tiennes.
Wovon träumtest du?
Je rêvais du temps.
Je rêvais.

LuJa

Donnerstag, 3. November 2011

Nord und Süd


Zu spät erreichen wir der Gärten Garten
in jenem Schlaf, von dem kein dritter weiß.
Im Ölzweig wollte ich den Schnee erwarten,
im Mandelbaum den Regen und das Eis.

Wie aber soll die Palme es verwinden,
daß du den Wall aus warmen Lauben schleifst,
wie soll ihr Blatt sich in den Nebel finden,
wenn du die Wetterkleider überstreifst?

Bedenk, der Regen machte dich befangen,
als ich den offnen Fächer zu dir trug.
Du schlugst ihn zu. Dir ist die Zeit entgangen,
seit ich mich aufhob mit dem Vogelzug.

Ingeborg Bachmann

http://www.youtube.com/watch?v=ib-h-PGo50Y

Dienstag, 25. Oktober 2011

kopfüber

Gleichmütig lese ich erneut - und empfinde sie wie eine Inspiration, eine Befreiung - die einfachen Sätze Alberto Caeiros, die auf das verweisen, was sein kleines Dorf vermag. Von diesem Dorf aus, sagt er, könne man, da es so klein sei, mehr von der Welt sehen als von der Stadt aus, und deshalb sei sein Dorf größer als die Stadt...

"Denn ich bin so groß wie das, was ich sehe,
Und nicht so groß, wie ich bin."

Sätze wie diese, die ohne einen sie diktierenden Willen zu wachsen scheinen, reinigen mich von aller Metaphysik, die ich spontan dem Leben hinzufüge. Nachdem ich sie gelesen habe, trete ich an mein Fenster über der engen Straße, betrachte den großen Himmel und seine vielen Gestirne und bin frei mit einem beflügelnden Glanz, dessen Schwingung in meinem ganzen Körper nachbebt.

Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe, 2011, Fischer Taschenbuch Verlag

http://www.youtube.com/watch?v=VgXESE2zjDY

Mittwoch, 19. Oktober 2011

flugs

...ich träume vom flattern der bunten blätter
sehe die braunen von mir abfallen
mache mich auf die reise
auf ins neue
wo immer das auch sein mag
ich war noch nicht dort
wenn ich noch träumte
kommen und gehen und spüren
später
später ist noch zeit
für das suchen

LuJa


http://www.youtube.com/watch?v=8kLBAWutvdw&feature=related
http://www.youtube.com/watch?v=asCu8EZkejg


Dienstag, 11. Oktober 2011

Nacht in London

Die Hände
vor das Gesicht halten
und die Augen
nicht mehr aufmachen
nur eine Landschaft sehen
Berge und Bach
und auf der Wiese zwei Tiere
braun am hellgrünen Hang
hinauf zum dunkleren Wald

Und das gemähte Gras
zu riechen beginnen
und oben über den Fichten
in langsamen Kreisen ein Vogel
klein und schwarz
gegen das Himmelblau

Und alles
ganz still
und so schön
dass man weiß
das Leben lohnt sich
weil man glauben kann
dass es das wirklich gibt

Erich Fried

http://www.youtube.com/watch?v=2LVxuzIHgjg







Montag, 10. Oktober 2011

Dimanche

Entre les rangées d'arbres de l'avenue des Gobelins
Une statue de marbre me conduit par la main
Aujourd'hui c'est dimanche les cinémas sont pleins
Les oiseaux dans les branches regardent les humains
Et la statue m'embrasse mais personne ne nous voit
Sauf un enfant aveugle qui nous montre du doigt.

Jacques Prévert

http://www.youtube.com/watch?v=VAn5G7ktMG4


Dienstag, 4. Oktober 2011

Oktober

Es kommt der Herbst und wandelt jedes Ding,
Und was die Fülle schien und groß und klar,
Wird Abschied, wie von einem Zauberring
Berührt, der Tag, der eben noch erinnert war.

Ich sehe deinen Blick, der mich ermuntert hat,
Bei dir zu bleiben, zage Melodie,
Verwandelt, so verwandelt wie ein jedes Blatt,
Berührt von Herbst und Melancholie.

Die Wolken fliehn, als ahnten sie Gefahr.
Wir lachen herzlich, einem Abschied angemessen.
Die Hand des Herbstes streicht dir übers Haar.
Vergessen mußt du, du mußt nur vergessen.

Hans-Eckardt Wenzel,
Seit ich am Meer bin
, 2011

http://www.youtube.com/watch?v=TWFgGxe-CjI

Sonntag, 2. Oktober 2011

Für eine Straße im Westen

Du wirst mir eine fremde Unsterblichkeit geben, einsame Straße.
Schon bist du Schatten meines Lebens.
Du durchbohrst meine Nächte mit deiner sicheren Geradheit eines Degenstoßes.
Der Tod - dunkles und unbewegliches Unwetter - wird meine Stunden in die Flucht schlagen.
Jemand wird meine Schritte sammeln, wird meine Hingabe und diesen Stern usurpieren.
(Die Ferne muss wie ein weiter Wind ihren Weg mit Geißeln bahnen.)
Erhellt von nobler Einsamkeit wird er deinem Himmel ein gleiches Sehnen auferlegen.
Er wird auferlegen dieses gleiche Sehnen, das ich bin.
Ich werde wiedererstehen in seinem künftigen Erstaunen,
zu sein.
Noch einmal auf dir:
Straße, die du dich schmerzlich öffnest wie eine Wunde.





Para una calle del oeste

Me darás una ajena immortalidad, calle sola.
Eres ya sombra de mi vida.
Atraviesas mis noches con tu segura rectitud de estocada.
La muerte - tempestad oscura e inmóvil - desbandará mis horas.
LinkAlguien recogerá mis pasos y usurpará mi devoción y esa estrella.
(La lejanía como un largo viento ha de flagelar su camino.)
Aclarado de noble soledad, pondrá una misma anhelación en tu cielo.
Pondrá esa misma anhelación que yo soy.
Yo resurgiré en su venidero asombro de ser.
En ti otra vez:
Calle que dolorosamente como una herida te abres.

Jorge Luis Borges (1925)

http://www.youtube.com/watch?v=4GIAawSTisE

Mittwoch, 28. September 2011

Benennungen





























Es
ist schön
deutlich getäuscht zu werden

Ein Bild von Magritte

auf diesem Stein steht B R O T
auf diesem Messer steht V O G E L

Ganz
einfach

du siehst und du liest
und du verstehst die Methode

und könntest lachen

Aber worauf steht hier L I E B E

und was trägt die Aufschrift
D E N O K R A T I E

Was ist das in Wirklichkeit

und warum N
statt M

Ist das Absicht oder ein Irrtum

Und dort steht L E B E N
mit einem Strich mitten durch

Erich FRIED

http://www.youtube.com/watch?v=C1xDzX1EzVs

Sonntag, 4. September 2011

Kein Weg

es war ein stück vom himmel
dass es dich gibt

herbert grönemeyer der weg



Viel weiter weg bist du auch nicht. Zeit, mir das einzustehen, endlich einmal.
Zeit, an Abschied zu denken.
Vielleicht einmal, vielleicht bald.

http://www.youtube.com/watch?v=__0NikkILmw&feature=mfu_in_order&list=UL

Freitag, 19. August 2011

Bruissement du peuplier blanc

Eine Legende aus Japan, glaube ich, erzählt, bei der Geburt binde der Mond den Fuß eines künftigen Mannes mit einem roten Band an den Fuß einer künftigen Frau. Im Leben ist das Band unsichtbar, doch die beiden Menschen suchen einander, und wenn sie sich finden, erreichen sie das Glück auf Erden. Manche finden sich nicht; dann ist ihr Leben voller Unruhe, und sie sterben traurig; für sie wird das Glück erst in der anderen Welt beginnen; dort werden sie sehen, an wen das rote Band sie bindet. Ich weiß nicht, ob ich in dieser Welt das rote Band finden werde, das mich bindet; ich glaube, diese Legende ist, wie alle Legenden, eine poetische Tröstung. Ist der, für den man geschaffen ist, nicht der, für den geschaffen zu sein man annimmt?


Marcelle Sauvageot, Commentaire / Fast ganz die Deine, 1934 (Albin Michel), 2005 (Büchergilde Gutenberg)



Mittwoch, 3. August 2011

Merlebleu azuré


Pierre und Luce sahen wie von einer Anhöhe herab den Schatten, der sich über die Stadt legte. Noch ganz eingehüllt in die Strahlen ihrer Liebe, erwarteten sie ohne Furcht das Ende des kurzen Tages. Heute in der Nacht würden sie zu zweit sein. Wie ein abendliches Angelusläuten stieg zu ihnen, aus der Erinnerung geweckt, die wollüstige Schwermut von Debussys schönen Akkorden empor, die sie so sehr geliebt hatten. Mehr als jemals zuvor entsprach die Musik jetzt dem Bedürfnis ihrer Herzen. Sie war die einzige Kunst, die hinter dem Vorhang der Formen die Stimme der erlösten Seele sein konnte.
Am Gründonnerstag gingen sie, Luce an Pierres Seite Arm und seine Hand haltend, über die vom Regen aufgeweichten Wege der Vorstadt. Windstöße fegten über die nasse Ebene. Sie bemerkten keinen Regen, keinen Wind, nicht die Hässlichkeit der Gegend, nicht die morastige Straße.
(...)
Luce war schweigsam, sie lächelte still, wie von innen erhellt. Eine tiefe Freude umgab beide.
"Wie kommt es, dass wie uns so sehr lieben?", fragte Pierre.
"Ach, Pierre, wenn du das fragst, dann hast du mich gar nicht so lieb."
"Ich frage dich danach", sagte Pierre, "damit du mir sagst, was ich genauso gut weiß wie du."
"Ich soll dir Komplimente machen", meinte Luce. "Aber da bist du bei mir ganz schön hereingefallen. Wenn du nämlich weißt, warum ich dich liebe - ich weiß es nicht."
"Du weißt es nicht?", fragte Pierre konsterniert.
"Aber nein!" (Sie lachte in sich hinein.) "Und ich brauche es auch nicht zu wissen. Wenn man sich fragt, warum eine Sache so und so ist, dann weil man sich ihrer nicht sicher ist, weil sie nicht gut ist. Jetzt, wo ich liebe, gibt es kein Warum mehr, kein Wo, kein Wann, kein Weil noch ein Wie! Meine Liebe ist. Sie ist einfach. Alles Übrige existiert, wenn es denn will."

Und wieder fanden ihre Gesichter zueinander. Regen lief unter den ungeschickt gehaltenen Schirm und nässte ihnen Haar und Wangen. Sie schlürften ein kaltes Tröpfchen, das zwischen ihre Lippen rann.

Romain Rolland, Pierre und Luce, 1928 / 2010

http://www.youtube.com/watch?v=K2IpQYAtzto

Montag, 18. Juli 2011

Pluie

Während eines Traums
Lernte ich dich kennen
Lächelnd hielt ich deine Hand
In meiner

Schweigend.


Aufrecht und stolz ist mein Gang
In der Nacht fliehe ich über die felsigen Gebirge

Unter meinem Herzen
Dein dir unbekanntes Kind
Schlaftrunken laufe ich dem Morgen
In die Arme
Und wünschte, es wären deine
So, wie du mich hieltest

Mein Blut pocht in meinen Schläfen
O! möge meine Flucht enden.
(Bei dir, bei dir.)
Ganz willens, mich deiner Utopie hinzugeben -
Doch unter meinem Herzen,
Unter meinem Herzen
Blüht ein Feuer


In einer kühlen Nacht
Verschwandest du
Mein Herz gleicht einem weiten Ozean
Dessen größte unbewohnte Insel
Du bleibst


LuJa

http://www.youtube.com/watch?v=iuOOMjbxoQA&feature=fvst
http://www.youtube.com/watch?v=KWy3X7f4MyY&feature=related

Sonntag, 3. Juli 2011

Juli





Ich spüre was Nasses
In meinem Gesicht
Und schließe meine Augen
Ich schüttle meinen Kopf
Der Wind streicht dabei zart
Über meine nassen Wangen
Hab ich Angst
Auf dem Hügel,
Den Schirm in meinem Rücken

Leise schluchze ich nochmal auf
Und beginne zu laufen
Schneller
Und
Schneller
Hab ich Angst
Ich schüttle meinen Kopf
Der Wind streicht dabei härter
Über meine klatschnassen Wangen
Wäre gern alt geworden
Mit dir
Was sind schon drei Jahre
Der Anfang einer Viertelewigkeit
Oder nichts
Der Schirm reißt mich
Hoch in die Luft
Alle Leinen gespannt
Segel setzen
Und dabei dich im Herzen

Ich öffne meine Augen
Was sind schon drei Jahre

LuJa


http://www.youtube.com/watch?v=rFfTX6HtPqM

Freitag, 1. Juli 2011

Was immer mir der Wind erzählt


Es duftet nach Akazien und

dein Lächeln duftet auch.
Die Winde meinen´s gut mit uns,
die Welt nimmt uns in Kauf.

Wir reden nicht, wir schweigen nicht,
wir sind ganz einfach da.
Wir spiegeln uns im Sommerlicht
und sind uns nah.

Als hätt´ ich dich noch nie gesehn,
verwirrt mich dein Gesicht.
Die Zeit mag ruhig zugrunde gehn.
Wir tun es sicher nicht.

Wir geben uns ganz absichtslos
und ohne tief ´ren Sinn
wie Wolken unterm Himmel ziehn
der Liebe hin.

Was immer mir der Wind erzählt,
der Mond und mein Klavier:
Sie singen nur das eine Lied,
sie singen nur von dir.

Sie kannten dich schon vor der Zeit,
bevor die Welt entstand.
Dein Name ist in jeden Baum,
in jeden Fels gebrannt.

Es gibt so viele Lieder über
diesen Augenblick,
voll Schwülstigkeit und Flieder und
mit wehem Blick zurück.

Doch all die schweren Worte,
sie sind nichts als gut gemeint.
Sie können nicht beschreiben,
was uns beide eint.

Das Laute schweigt, die Stille tönt.
Ich weiß nicht wer ich bin.
Und alles ist so unbestimmt
und sinnvoll ohne Sinn.

Die Welt ist wohl aus Nichts gemacht,
ganz leicht, wie nebenbei.
Und ohne dich bricht diese Welt
ganz sicherlich entzwei.

Was immer mir der Wind erzählt,
der Mond und mein Klavier:
Sie singen nur das eine Lied,
sie singen nur von dir.

Es duftet nach Akazien und
dein Lächeln duftet auch.
Die Winde meinen´s gut mit uns,
die Welt nimmt uns in Kauf.

Wir reden nicht, wir schweigen nicht,
wir sind ganz einfach da.
Wir spiegeln uns im Sommerlicht
und sind uns nah.

Konstantin Wecker
Wecker-Wader-Konzert in Oranienburg im Juni 2011


http://www.youtube.com/watch?v=mrBIlrLXsSc

Sonntag, 15. Mai 2011

Ta fuite



Einige Sekunden lang schwiegen sie, als müssten sie über das unerhörte Ereignis nachdenken. Dann brach Alice in Gelächter aus. Mattia brannten die Augen, und seine geschwollenen Adern am Hals zuckten und pulsierten heftig.
"Hast du dir wehgetan?", fragte Alice, immer noch lachend.
Mattia war wie gelähmt und antwortete nicht. Sie bemühte sich, wieder ernst zu werden.
"Lass mal sehen", sagte sie.
Sie löste den Sicherheitsgurt und beugte sich zu ihm vor, während er weiter die Wand anstarrte. Er dachte an das Wort unelastisch. Und daran, welches Maß an kinetischer Energie, die jetzt seine Beine zittern ließ, bei einem Aufprall freigesetzt worden wäre.
Endlich nahm er den Fuß von der Bremse, und ihr Wagen mit dem abgewürgten Motor rollte ein wenig auf der kaum merklich abfallenden Straße zurück. Alice zog die Handbremse.
"Da ist nichts", sagte sie, indem sie Mattia über die Stirn strich.
Er schloss die Augen und nickte. Er musste sich zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen.
"Jetzt fahren wir erst mal nach Hause, und da legst du dich hin", sagte Alice. Als hätten sie je ein gemeinsames Zuhause gehabt.
"Ich muss zu meinen Eltern", wandte Mattia mit wenig Nachdruck ein.
"Da fahr ich dich später hin. Jetzt musst du dich erst ausruhen."
"Ich muss..."
"Sei ruhig."
Sie stiegen aus und tauschten die Plätze. Die Dunkelheit hatte den Himmel vollständig erobert, bis auf einen schmalen Streifen längs des Horizonts.
Die ganze Fahrt über wechselten sie kein Wort mehr miteinander. Mattia hatte die rechte Hand vor die Augen gelegt, während Mittelfinger und Daumen die Schläfen zusammenpressten. Wieder und wieder las er die Warnung am Spiegel. Objects in the mirror are close than they appear.
...
Hin und wieder wandte Alice den Blick von der Straße ab und sah ihn besorgt an. Sie bemühte sich, behutsam zu fahren. Kurz überlegte sie, ob sie nicht vielleicht Musik anstellen sollte, wusste aber nciht, was er gern hören würde. Im Grunde wusste sie nichts mehr von ihm.
Vor dem Haus machte sie Anstalten, ihm aus dem Wagen zu helfen, aber er schüttelte den Kopf und stieg allein aus. Während sie schon die Haustür öffnete, stand er ein wenig wankend hinter ihr. Alles, was sie tat, geschah flink und aufmerksam. Sie fühlte sich verantwortlich, als wäre das alles die unerwartete Folge eines dummen Streiches.
Drinnen im Wohnzimmer warf sie ein paar Kissen zu Boden, um ihm auf dem Sofa Platz zu machen.
"Leg dich hier hin", forderte sie ihn auf, und er gehorchte.
Sie ging in die Küche, um ihm einen Kamillentee oder schwarzen Tee zu machen oder sonst etwas, das sie in der Hand halten konnte, wenn sie ins Wohnzimmer zurückkam.
Während sie wartete, dass das Wasser kochte, räumte sie hektisch auf. HIn und wieder wandte sie den Kopf, um einen Blick ins Wohnzimmer zu werfen, konnte aber nur das eintönig strahlende Blau der Rückenlehne erkennen.
Gleich würde Mattia fragen, warum sie ihm geschrieben hatte, und dann konnte sie ihm nicht mehr ausweichen. Nur wusste sie es jetzt selbst nicht mehr so genau. Ihr war eine jüngere Frau aufgefallen, die ihm ähnelte. Ja, und? Auf der Welt wimmelte es von Leuten, die sich ähnlich sahen, gab es ständig eigenartige, bedeutungslose Zufälle. Sie hatte doch mit jener Frau noch nicht einmal ein einziges Wort gewechselt. Wenn sie jetzt so darüber nachdachte, während Mattia drüben im anderen Zimmer lag, kam ihr das alles absurd und grausam vor.
Fest stand nur, dass er zurückgekehrt war und dass sie sich wünschte, er würde nicht mehr fortgehen.
Sie spülte noch einmal die eigentlich sauberen, im Waschbecken gestapelten Teller und nahm den mit Wasser gefüllten Topf vom Herd. Seit Wochen klebte eine Handvoll Reis auf dem Boden fest. Durch das Wasser betrachtet, sahen die Reiskörner größer aus. Sie leerte den Topf, nahm eine Tasse von der Ablage, füllte sie mit kochendem Wasser und tauchte einen Teebeutel hinein, der es sofort dunkel färbte. Dann gab sie noch zwei gehäufte Löffel Zucker hinzu und kehrte zu Mattia zurück.
Seine Hand war von den geschlossenen Augen zum Hals hinuntergeglitten. Die Gesichtshaut hatte sich entspannt, und seine Miene wirkte gleichmütig. In regelmäßigen Abständen hob und senkte sich sein Brustkorb.
Ohne den Blick von ihm abzuwenden, stellte Alice die Tasse auf die Glasplatte des Couchtischchens und nahm auf dem Sessel daneben Platz. Außer Mattias Atemzügen war nichts zu hören.
Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, dass ihr Kopf nun endlich wieder klarer wurde, sich ihre Gedanken gemächlicher bewegten, nachdem sie eine Zeitlang wie wahnsinnig gerast waren, hin zu einem unbestimmten Ziel, und sie fand sich in hrem eigenen Wohnzimmer wieder, als wäre sie aus einer anderen Dimension hereingeplatzt.
...
Sie spürte, dass sich jetzt etwas klärte, wie eine Erfüllung nach langem Warten, spürte es in allen Gliedern, sogar in ihrem lahmen Bein, das doch sonst von nichts etwas mitbekam.
Es war ganz natürlich, jetzt aufzustehen, Sie fragte sich noch nicht einmal, ob es richtig war oder nicht, ob sie tatsächlich ein Recht dazu besaß. Es geschah nicht mehr, als dass Zeit verrann und neue Zeit nach sich zog. Es war etwas Naheliegendes, das von einer Zukunft oder der Vergangenheit ganz unberührt war.
So beugte sie sich über Mattia und küsste ihn auf die Lippen. Ohne Angst, ihn zu wecken, küsste sie ihn, wie man einen wachen Mund küsst, ließ ihre Lippen auf den seinen ruhen, wie um dort ein Zeichen zu hinterlassen. Er zuckte zusammen, schlug die Augen aber nicht auf. Nur seine Lippen öffneten sich halb und erwiderten ihrem Kuss. Er war wach.
Es war anders als beim ersten Mal. Ihre Gesichtsmuskeln waren nun kräftiger, wissender, bemühten sich um eine Aggressivität, die mit ihren Rollen zu tun hatte, als Mann und Frau. Über ihn gebeugt verharrte Alice, nur ihre Lippen, ihre Zunge bewegten sich. Ihren übrigen Körper schien sie vergessen zu haben.
Der Kuss dauerte einige Minuten, so lange, dass die Realität einen Spalt zwischen ihren aufeinandergepressten Mündern finden konnte, um sich dazwischen zu drängen und beide zu zwingen, sich bewusst zu machen, was da gerade geschah.
Sie lösten sich voneinander. Während Mattia lächelte, rasch, automatisch, betastete Alice ihre feuchten Lippen, wie um sich zu vergewissern, dass es tatsächlich geschehen war.
Jetzt galt es, eine Entscheidung zu treffen, und zwar, ohne dass sie darüber sprachen. Abwechselnd schauten sie sich an, doch die Übereinstimmung war bereits verloren gegangen, und ihre Blicke trafen sich nicht.
Unsicher stand Mattia auf. "Ich geh mal einen Moment...", sagte er, indem er in den Flur deutete.
"Klar. Die letzte Tür."
Er hatte seine Schuhe noch an, und das Geräusch seiner Schritte schien in den Boden einzudringen.

Die Einsamkeit der Primzahlen Paolo Giordano, 2008


http://www.youtube.com/watch?v=ctgLh7ekE1s&feature=relmfu

Montag, 9. Mai 2011

Ta danse

Peenemünde, le 3 avril 2011

Mitten im tiefsten Winter habe ich schließlich erfahren,
dass in mir ein unauslöschlicher Sommer ist.

Albert Camus

Primzahlen sind nur durch 1 und durch sich selbst teilbar. Sie haben ihren festen Platz, eingeklemmt zwischen zwei anderen, in der unendlichen Reihe natürlicher Zahlen, stehen dabei jedoch ein Stück weiter draußen. Es sind misstrauische, einsame Zahlen. Deshalb fand Mattia sie auch wunderbar und dachte manchmal, dass sie irrtümlich in dieser Folge, aufgereiht wie Perlen einer Halskette, gelandet waren. Andere Male dachte er, dass sie vielleicht gern wie alle anderen gewesen wären, einfach beliebige Zahlen, was ihnen aus welchen Gründen auch immer aber nicht gelang. Dieser zweite Gedanke kam ihm aber vor allem abends, in dem chaotischen Geflecht von Bildern, die dem Schlaf vorausgehen, wenn das Hirn zu müde ist, um sich noch selbst zu belügen.
In einem Seminar im zweiten Semester hatte Mattia gelernt, dass einige Primzahlen noch einmal spezieller als die anderen sind. Primzahlenzwillinge werden sie von Mathematikern genannt. Paare von Primzahlen, die nebeneinanderstehen oder genauer, fast nebeneinander, denn zwischen ihnen befindeet sich immer noch eine gerade Zahl, die verhindert, dass sie sich tatsächlich berühren. Zahlen wie 11 und 13, wie 17 und 19 oder 41 und 43. Bringt man die Geduld auf, weiter und weiter zu zählen, stellt man fest, dass solche Pärchen immer seltener werden. Man stößt auf immer weniger Primzahlen, die verloren dastehen in diesem lautlosen, monotonen, nur aus Ziffern bestehenden Raum, und es beschleicht einen das beklemmende Gefühl, dass die Pärchen, die einem bis dahin begegnet sind, rein zufällig zusammenstanden und dass es eigentlich ihr Schicksal ist, allein zu bleiben. Aber dann, wenn man schon aufgeben und nicht mehr weiterzählen will, stößt man auf ein weiteres Pärchen von Zwillingen, die sich, eng umschlungen, aneinander festhalten. Mathematiker sind davon überzeugt, dass man, egal wie weit man fortschreitet, immer wieder solchen Zwillingen begegnen wird, obwohl niemand sagen kann, wo sie stecken, bis man sie tatsächlich gefunden hat.
Für Mattia waren sie beide, Alice und er, genau dies, Primzahlenzwillinge, allein und verloren, sich nahe, aber doch nicht nahe genug, um sich wirklich berühren zu können. Er hatte ihr diesen Gedanken noch niemals anvertraut, und wenn er sich vorstellte, wie er ihr davon erzählte, verdampfte die dünne Schweißschicht auf seinen Händen vollends, sodass er zehn Minuten keine Gegenstände mehr berühren konnte.
...
Zu Hause entnahm er seinem Ringbuch einen Stapel Blätter, dick genug, dass der Stift sanft darübergleiten konnte und nicht über die harte Tischplatte kratzte. Er schob die Kanten exakt zusammen, zunächst oben und unten, dann die Seiten. Von den Federhaltern auf dem Schreibtisch wählte er sich den aus, der noch am besten gefüllt war, schraubte die Kappe an und steckte sie auf das hintere Ende, damit sie nicht verloren ging. Dann schrieb er genau in die Mitte des obersten Blattes, ohne dass er dazu die Kästchen zählen musste:

2 760 889 966 649. Er schraubte die Kappe wieder auf und legte den Federhalter seitlich neben das Papier. Zweitausendsiebenhundertsechzigmilliardenachthundertneunundachtzig-millionenneunhundertsechsundsechzigtausendsechshundertneunundvierzig, las er mit lauter Stimme. Dann noch einmal, aber leiser, so als wolle er sich diesen Zungenbrecher einprägen. Dies sollte seine Zahl sein, beschloss er.
...
Nach kurzem Zögern hielt er den Füller zwei Zeilen darunter und schrieb: 2 760 889 966 651.
Das ist ihre, dachte er. In seinem Kopf nahmen die Ziffern die bläuliche Farbe von Alices Fuß im flackernden Lichtschein des Fernsehapparates an.
Das können Primzahlzwillinge sein, dachte Mattia. Wenn das stimmt...
Schlagartig verharrte er bei diesem Gedanken und begann nach Teilern der beiden Zahlen zu suchen. Mit der 3 war es leicht: Man brauchte nur die Quersumme zu bilden, und schon sah man, ob sie ein Vielfaches von 3 war. Die 5 schied von vorneherein aus. Vielleicht gab es auch für die 7 eine Regel, aber Mattia erinnerte sich nicht mehr so genau und machte sich daran, schriftlich zu teilen. Das Gleiche, in immer komplizierteren Rechnungen, mit der 11, der 13 und so fort. Während er die 37 ausprobierte, nickte er zum ersten Mal ein, und der Stift glitt aus seiner Hand aufs Papier. Bei 47 gab er auf. Die Spannung in seinem Magen hatte sich aufgelöst, war in die Muskeln abgeflossen, so wie sich Gerüche in der Luft verflüchtigen, und er spürte nichts mehr davon. In dem Raum gab es nichts anderes mehr als ihn selbst und eine Reihe herumliegender Blätter, die mit sinnlosen Teilungen beschrieben waren. Die Uhr zeigte auf Viertel nach drei am frühen Morgen.

Mattia nahm noch einmal das erste Blatt zur Hand, auf dem in der Mitte die beiden Zahlen standen, und kam sich wie ein Idiot vor. Er riss es mittendurch, und dann noch einmal, bis die Kanten scharf genug waren, um sie wie eine Klinge unter dem Fingernagel seines linken Ringfingers hindurchzuführen.


Die Einsamkeit der Primzahlen, Paolo Giordano, 2011



http://www.youtube.com/watch?v=G1vmBYalPP4

http://www.youtube.com/watch?v=TEZdx7geOQY&feature=related

Apprendre à voler

- Faut-il se dire au revoir?
- Oui. Mon au revoir sera un nouveau début.


http://www.youtube.com/watch?v=Mf3tRK1e0RM












Donnerstag, 31. März 2011

Sourire

Ich gehe
im Bett
spazieren

Am Ufer des Ganges
und zur
Mauer Abazzia

Mein Herz
liegt in der
rostigen
Hülle der Trauer

Meine Wege
führen ins Glück

Rose Ausländer

http://www.youtube.com/watch?v=0xVRlDpDnQg

Montag, 28. März 2011

Was der Wind in den Sand geschrieben...


Dass das Schöne und Berückende
Nur ein Hauch und Schauer sei,
Dass das Köstliche, Entzückende,
Holde ohne Dauer sei:
Wolke, Blume, Seifenblase,
Feuerwerk und Kinderlachen,
Frauenblick im Spiegelglase
Und viel andre wunderbare Sachen,
Dass sie, kaum entdeckt, vergehen,
Nur von Augenblicks Dauer,
Nur ein Duft und Windeswehen,
Ach, wir wissen es mit Trauer,
Und das Dauerhafte, Starre
Ist uns nicht so innig teuer:
Edelstein mit kühlem Feuer,
Glänzendschwere Goldesbarre;
Selbst die Sterne, nicht zu zählen,
Bleiben fern und fremd, sie gleichen
Uns Vergänglichen nicht, erreichen
Nicht das Innerste der Seelen.
Nein, es scheint das innigst Schöne,
Liebenswerte dem Verderben
Zugeneigt, stets nah dem Sterben,
Und das Köstlichste: die Töne
Der Musik, die im Entstehen
Schon enteilen, schon vergehen,
Sind nur Wehen, Strömen, Jagen
Und umweht von leiser Trauer,
Denn auch nicht auf Herzschlags Dauer
Lassen sie sich halten, bannen;
Ton um Ton, kaum angeschlagen,
Schwindet schon und rinnt von dannen.
So ist unser Herz dem Flüchtigen,
Ist dem Fließenden, dem Leben
Treu und brüderlich ergeben,
Nicht dem Festen, Dauertüchtigen.
Bald ermüdet uns das Bleibende,
Fels und Sternenwelt und Juwelen,
Uns in ewigem Wandel treibende
Wind- und Seifenblasenseelen,
Zeitvermählte, Dauerlose,
Denen Tau am Blatt der Rose,
Denen eines Vogels Werben,
Eines Wolkenspiels Sterben,
Schneegeflimmer, Regenbogen,
Falter, schon hinweg geflogen,
Denen eines Lachens Läuten,
Das uns im Vorübergehen
Kaum gestreift, ein Fest bedeuten
Oder wehtun kann. Wir lieben,
Was uns gleich ist, und verstehen,
Was der Wind in den Sand geschrieben.

Hermann Hesse



Donnerstag, 24. März 2011

Treffen

Papierbogen
Schneefläche gespannt
auf der meine Finger
Pfeilen gleich fliegen
zu ihrem Bestimmungsort
Bestimmungwort

Wortreise
minutenweit
und weiter
bis zum Punkt
wo ich mich treffe
mit deinem Wort

Rose Ausländer


Sonntag, 20. März 2011

Ein Holzstern


EIN HOLZSTERN, blau,
aus kleinen Rauten gebaut. Heute, von
der jüngsten unserer Hände.

Das Wort, während
du Salz aus der Nacht fällst, der Blick
wieder die Windgalle sucht:
-Ein Stern, tu ihn,
tu den Stern in die Nacht.

(-In meine, in
meine.)

Paul Celan (1920 - 1970)



Donnerstag, 17. März 2011

Noch bist du da

Wirf deine Angst
in die Luft

Bald
ist deine Zeit um
bald
wächst der Himmel
unter das Gras
fallen deine Träume
ins Nirgends

Noch
duftet die Nelke
singt die Drossel
noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da

Sei was du bist
Gib was du hast

Rose Ausländer





Dienstag, 15. März 2011

La terre est bleue comme une orange

La terre est bleue comme une orange
Jamais une erreur les mots ne mentent pas
Ils ne vous donnent plus à chanter
Au tour des baisers de s'entendre
Les fous et les amours
Elle sa bouche d'alliance
Tous les secrets tous les sourires
Et quels vêtements d'indulgence
À la croire toute nue.

Les guêpes fleurissent vert
L'aube se passe autour du cou
Un collier de fenêtres
Des ailes couvrent les feuilles
Tu as toutes les joies solaires
Tout le soleil sur la terre
Sur les chemins de ta beauté.


Paul Éluard


http://www.youtube.com/watch?v=Wcn9zaiotbU




Dienstag, 8. März 2011

Worte

Wenn meinen Worten die Silben ausfallen vor Müdigkeit
und auf der Schreibmaschine die dummen Fehler beginnen
wenn ich einschlafen will
und nicht mehr wachen zur täglichen Trauer
um das was geschieht in der Welt
und was ich nicht verhindern kann

beginnt da und dort ein Wort sich zu putzen und leise zu summen
und ein halber Gedanke kämmt sich und sucht einen anderen
der vielleicht noch eben an etwas gewürgt hat
was er nicht schlucken konnte
doch jetzt sich umsieht
und den halben Gedanken an der Hand nimmt und sagt zu ihm:

Komm

Und dann fliegen einige von den müden Worten
und einige Tippfehler die über sich selber lachen
mit oder ohne die halben und ganzen Gedanken
aus dem Londoner Elend über Meer und Flachland und Berge
immer wieder hinüber zur selben Stelle

Und morgens wenn du die Stufen hinuntergehst durch den Garten
und stehenbleibst und aufmerksam wirst und hinsiehst
kannst du sie sitzen sehen oder auch flattern hören
ein wenig verfroren und vielleicht noch ein wenig verloren
und immer noch ganz dumm vor Glück daß sie wirklich bei dir
sind


Erich Fried

















Dienstag, 1. März 2011

Au petit matin




Meine Schuhe von mir geworfen, das Glück des winzigen Augenblicks vernachlässigend die Flucht ergriffen, im stummen ergriffenen Tanz das Denken abgestreift, dann irgendwann die Augen geschlossen
und wortlos geweint.


Zwei Hände legen sich auf meine Augen. Und drehen mich um.



die stunden steigen herauf sterne ablegend und es ist
morgen
in die straßen des luftraums kommt das licht lieder streuend


auf erden wird eine kerze
gelöscht die stadt
erwacht
mit einem lied auf den
lippen tod in den augen


und es ist morgen
die welt
zieht aus träume zu morden...


ich seh in die straßen wo starke
männer brot graben
und ich seh die brutalen gesichter der
leute satt hässlich hoffnungslos grausam glücklich

und es ist tag,


im spiegel
seh ich einen zarten
menschen
träume
träumend
träume im spiegel

und es
ist dämmerung auf erden


eine kerze wird angezündet
und es ist dunkel
die leute sind daheim
der zarte mensch im bett
die stadt

schläft mit tod auf den lippen und einem lied in den augen
die stunden steigen herab
sterne anlegend...


in den straßen des luftraums kommt die nacht lieder streuend


E. E. Cummings (1894 - 1962)




http://www.youtube.com/watch?v=rBB9acKV0Q0&NR=1


Montag, 28. Februar 2011

Der Himbeerwald



















Bienen
singen den Sommer

Der Himbeerwald
glüht
aus Liebe zur Sonne

Finger stehlen die Glut
Münder verzehren sie

der leere Himbeerwald
riecht nach vergangenem Glück

Rose Ausländer







Mittwoch, 23. Februar 2011

Lapislazuli

may my heart always be open to little
birds who are the secrets of living
whatever they sing is better to know
and if men should not hear them men are old

immerdar möge mein herz kleinen vögeln
offenstehn denn sie sind das geheimnis des lebens
was sie auch singen ist besser als wissen
wenn menschen sie nicht mehr hören dann sind sie alt

E. E. Cummings (1894 - 1962)

 
























Freitag, 28. Januar 2011

Zitronen und Lavendel

Wessen Fragen unbeantwortet zurücklassen
Wohin fliehen
Wen nicht verraten, preisgeben
Wessen Träume verwirklichen
Deine meine keine
Oder doch nur weiterfliegen und schweigen
Rücken an Rücken
Den Herzschlag des anderen schmecken

und fliehen


LuJa

 

















Samstag, 22. Januar 2011

Comment faire une diazotypie...

Das Schweigen ausbreiten
einer Decke gleich
Die Wärme befühlen
der Kälte ausweichen
dem Klang der Regentropfen
nur noch Gehör schenken
Einhüllen
Nussecken essen
Ankommen
Geliebt werden
Aufstehen
und gehen
Fort
Weit
Weit fort

Den Wind spüren


Nass und kalt auf der Haut
Zitternde Fingerspitzen
über den schwarzen Tasten
und der Angst
Und den meergrünen Sternen.
Kommen und gehen und bleiben

LuJa




















Mittwoch, 12. Januar 2011

Sonnenaufgang

Morgens im Halbdunkel aus der Tram fallen, verschlafener Blick, müder Gang. Den Mantelkragen hochschlagen, den Gedanken an das Aufsetzen eines verwegenen Blickes sofort wieder verwerfen, auf jeden Schritt Acht geben, es ist glatt in dieser kalten klamm gefrorenen Stadt. Und es ist noch immer Winter. Die Schritte, nach und nach sicherer, wacher geworden, führen durch einen kleinen Park. Plötzlich das lächelnde Zwitschern einer Amsel hören, dadurch den Kopf gen Himmel wenden und dann - die Sonne geht auf. Famos. Eigentlich wie jeden Morgen. Und dennoch ein klitzekleines Wunder. Ein zartes Lächeln macht sich breit. Was wird aus diesem Tag? Das ist völlig egal. Die Amsel und die Sonne. Die Sonne und die Amsel. Am Leben sein. Laufen und genießen.

Nachtzauber

Der Mond errötet
Kühle durchweht die Nacht

Am Himmel
Zauberstrahlen aus Kristall

Ein Poem
besucht den Dichter

Ein stiller Gott
schenkt Schlaf
eine verirrte Lerche
singt im Traum
auch Fische singen mit
denn es ist Brauch
in solcher Nacht
Unmögliches zu tun

Rose Ausländer (1901 - 1988)


Keine Gedichte
im Augenblick
ich will leben

Morgen
vielleicht
glückt das Wort
weißes Blatt
Wald voller Vögel

Ich
spitze die Ohren
sehe mit den
Eulenaugen der Nacht

keine Gedichte
Morgen
vielleicht

Rose Ausländer


http://www.myspace.com/davethies/music/songs/fly-away-21888317