... salut de nouveau

Wieder auf Reisen.
Du fragst oft nach mir.
Ich telephonier
noch vorm Zubettgehen mit dir.


Freu mich auf den Moment,
wenn ich steh in der Tür,

und du läufst mir jauchzend entgegen.

...

Und dann öffne ich meine Arme für dich.
Ja, dann öffne ich meine Arme für dich!


Dann öffne ich meine Arme, Gerhard Schöne (1992)


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Montag, 12. Juni 2017

Wir Gleichgepolten, ...


Wir Gleichgepolten, du und ich, haben einander angesichts dieser Kompassnadel abgestoßen. Ich bin abgereist, weil Jeanne mich gebeten hatte abzureisen, und du? 
Es gibt keine Unfälle. Du hast dich Stück für Stück von der Nacht auffressen lassen. 
Wie ich.

Mathias Énard
aus: Mathias Énard, Der Alkohol und die Wehmut, Matthes und Seitz, 2016, Berlin


Freitag, 21. April 2017

Von oben betrachtet

Am Feldweg liegt ein toter Käfer.
Er hat die sechs Beine sorgsam auf dem Bauch gefaltet.
Statt des Wustes von Tod - Sauberkeit und Ordnung.
Gemäßigt ist das Grauen dieses Anblicks,
die Reichweite streng lokal von der Quecke zur Minze.
Die Trauer teilt sich nicht mit.
Der Himmel ist blau.

Unserem Frieden zuliebe sterben die Tiere nicht,
sie krepieren den seichteren Tod. Sie verlieren,
wir wollen es glauben, weniger Welt und Gefühl,
verlassen, so will uns scheinen, die weniger tragische Bühne.
Ihre fügsamen Seelen schrecken uns nicht in der Nacht.
Sie schätzen Distanz.
Sie kennen die mores.

Und also glitzert der tote Käfer, unbeweint, 
am Weg in der Sonne.
Es genügt, an ihn soviel zu denken wie hinzusehn:
er liegt, als wäre ihm nichts von Bedeutung passiert.
Bedeutung haben angeblich wir,
nur unsere Leben, nur unser Tod,
der Tod, der erzwungenen Vorrang genießt.

Wisława Szymborska
aus: Wisława Szymborska, Salz. Gedichte, Suhrkamp, 1973, Frankfurt

 

 

Donnerstag, 20. April 2017

Fremde Vokabel

    "La Pologne? La Pologne? Schrecklich kalt dort, nicht wahr?", fragte sie mich und atmete sofort leichter. Es gibt jetzt so viele von diesen Ländern, daß es am sichersten ist, über das Klima zu sprechen.
    "Oh ja", möchte ich ihr antworten, "die Dichter meines Landes schreiben in Handschuhn. Ich behaupte nicht, sie zögen sie niemals aus; wenn der Mondschein wärmt, dann schon. In ihren Strophen, vom lauten Getöse skandiert, denn nur Getöse dringt durch das Heulen der Stürme, besingen sie das einfache Leben der Seehundhirten. Die Klassiker wühlen mit Tintenzapfen in festgetretenen Dünen. Der Rest, die Dekadenten, beweint das Schicksal der kleinen Sterne aus Schnee. Wer sich ertränken will, muß zum Beil greifen, um eine Wake zu schlagen. So ist das, meine Liebe."
    So möchte ich ihr antworten. Aber ich vergaß, was Seehund auf französisch heißt. Ich bin mir auch des Zapfens und der Wake nicht ganz sicher.
    "La Pologne? La Pologne? Schrecklich kalt dort, nicht wahr?"
  - "Pas du tout", antwortete ich eisig.

Wisława Szymborska / 1962
aus: Wisława Szymborska, Salz. Gedichte, Suhrkamp, 1973, Frankfurt

 
   

Freitag, 17. März 2017

Trost


Darwin.

Angeblich las er zur Entspannung Romane.
Doch er stellte Ansprüche:
Sie durften nicht traurig enden.
Wenn er auf einen traurigen stieß,
warf er ihn wütend ins Feuer.

Ob’s stimmt oder nicht –
ich glaub es gern.

Sein Geist durchmaß so viele Gebiete und Zeiten,
er sah sich so viele ausgestorbene Gattungen an,
Triumphe der Stärkeren über die Schwächeren,
so viele Überlebensversuche,
früher oder später vergeblich,
daß er sich zumindest von der Fiktion
und ihrer Mikroskala
mit Recht ein Happy-End erhoffte.

Also unbedingt: ein Lichtstrahl hinter den Wolken,
die Geliebten wieder vereint, die Familien versöhnt,
die Zweifel zerstreut, die Treue belohnt,
das Vermögen zurückgewonnen, die Schätze ausgegraben,
die Nachbarn zerknirscht über ihre Sturheit,
der gute Name wiederhergestellt, die Habgier beschämt,
die alten Jungfern an ehrbare Pastoren vergeben,
die Intriganten auf die andere Halbkugel verbannt,
die Dokumentenfälscher von der Treppe gestoßen,
die Mädchenverführer auf dem Weg zum Altar,
die Waisen in Obhut, die Witwen beruhigt,
der Hochmut ganz klein, die Wunden verheilt,
die verlorenen Söhne an den Tisch gebeten,
der bittere Kelch ins Meer geleert,
die Taschentücher naß von Freudentränen,
allgemeines Singen und Musizieren,
und das Hündchen Fido,
schon im ersten Kapitel verschwunden –
möge es wieder durchs Haus laufen
und fröhlich bellen.

 Wisława Szymborska



Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall.
Aus: Glückliche Liebe und andere Gedichte. Berlin: Suhrkamp Verlag 2012.