Auf einmal sah sie das Meer, die Ostsee zum ersten Mal, seit sie ein Mädchen gewesen war und fortgehen musste. Die straße folgte der Küstenlinie, Moritz fuhr langsam, er schien in Gedanken zu sein, und Inger blickte aus dem Seitenfenster auf die Weite des Fehmarnbelts mit dem milchigen Himmel. Jeder war süchtig nach Hoffnung und war zugleich vor Hoffnung blind. Immer hatten sie das Gefühl, vorhanden, aber nicht anwesend zu sein. Eine Verbindung fehlte, ein Weg zur Welt, oder ein Weg zu ihr selber? Keiner wollte etwas von Unwirklichkeit wissen, niemand sie wahrhaben. Lieber wollte man weiter hoffen, worauf auch immer. "Ich werde sehr traurig", sagte sie. Und Moritz: "Frag mich mal." Sie konnte nicht mehr mit ihm reden. Mirko Bonné, Lichter als der Tag, Schöffling, 2017, Frankfurt am Main
Deine Freude war in der winzigen Pause Zwischen zwei Füllwörtern versteckt. Sie klang Wie ein nach Innen geatmetes Lachen. Früher, als die Worte noch durch ein Kabel krochen Auf dem Grund des Ozeans, sprach ich laut: Hörst du mich? Wie spät ist es bei euch? Das Echo der Stimme im Hof, wie der Hof Eines Mondes, unscharf, zeitversetzte Antwort auf ungestellte Fragen. Heute sprangen die Sätze hin und her Zwischen einsamen Satelliten, digital zermahlen: Null und Nichts und Eins und Alles. Leise Sprach ich, wartete auf deine Millisekunden Verspätete Antwort, deine Freude, Zwischen zwei Füllwörtern. Die Spürhunde des Netzes, die Rechner Mit ihren Suchbegriffen, nahmen sie nicht Ernst als Sicherheitsrisiko. Keiner konnte Unsere Sprache entziffern. Nur du. Nur Ich. Es regnet, sagtest du, welch ein trister Abend in Europas März. Auf der Veranda Saß ich, im Süden der Wälder, trank Kaffee und hörte Den Wind durch Bäume ziehen. Wir schwiegen. Die vollkommenste Wahrheit ist die Musik. (Steh mir bei Augustinus!) Die Pause Zwischen zwei Tönen. Worte, wie eine Schale Um unser Schweigen, ein Rahmen In der Unendlichkeit, zu finden, was wir suchen, Was sich jedem Geräusch versagt, Sphärenklänge Oder der tonlose Atem der Zeit. Deine Freude in der winzigen Pause. Hans-Eckardt Wenzel, Seit ich am Meer bin, matrosenblau Verlag, 2011, Berlin