Es
war einmal ein Bär, der lebte sieben Meilen weg von den
Leuten, am Fuße des Berges in einer kleinen, freundlichen Höhle.
Im Sommer ging es ihm gut, verdiente er doch seinen Lebensunterhalt mit Bienenzucht und Honighandel , Beerensammeln und ähnlichen kleineren Arbeiten. Auch mit den Waldleuten vertrug er sich gut, weil er leutselig war, auch niemals hinterlistig oder nachtragend, wenn ihn jemand im Spaß oder aus Versehen gehänselt hatte. Gemeinheit oder Bosheit war ihm fremd und er war für die anderen Tiere so wie ein lieber Großvater. Sie kamen zu ihm und flüsterten ihre Sorgen in sein Ohr, der Bär sagte nie etwas weiter.
Auch im Winter ging es ihm nicht schlecht. Er hatte ja einen warmen Mantel aus Bären fell, und er hatte kleine Vorräte in seiner Höhle angelegt, die fast immer ausreichten. Er hatte Honig, etwas Espenlaub (was zerrieben, mit Pilzen und Schnee angerührt, mit Honig gesüßt, ein wunderbares Bärenmahl ergibt) und er hatte Baumblätter sauber gefaltet unter seinem Kopfkissen gesammelt, auf denen er an langen Winterabenden die Geschichte vom Sommer lesen konnte.
Nur im letzten Winter, da war es besonders kalt. Der Wind hatte dem Bären den Schnee bis direkt vor das Bett geweht. Die Luft war wie kaltes Glas und die Vögel fielen erstarrt in den Schnee. Und als die Heilige Nacht kam, stand der Mond kümmerlich und blass am Himmel.
Dem Bären war so kalt wie noch nie und er sagte sich: "Es ist so kalt, dass ich es nicht mehr aushalten kann. Ich werde jetzt in die Stadt gehen zu den Menschen. Vielleicht treffe ich einen Bekannten oder finde einen warmen Platz am Ofen oder jemand schenkt mir eine Brotsuppe. Heute ist die große Nacht, da sind die Menschen gut zueinander."
Da hatte er auch Recht.
Er rieb sich die Pfoten, ging vor die Höhle und rief in den Wald: "Geht jemand mit in die Stadt? Es gibt eine warme Brotsuppe und ein schönes Fest. Niemand?"
Bloß das Echo rief zurück: Niemand.
Da ging der Bär allein den Rehweg entlang, der ja geradeaus zu den ersten Häusern führt. Lieber wäre er nicht allein gegangen, denn der Weg ist besser, wenn man ihn zu zweit wandert. Manchmal blieb er deshalb stehen, hielt die Pfoten an die Schnauze und rief: "Niemand, der mitgeht in die Stadt? Es gibt ein großes Fest."
Aber es gab keine Antwort.
Und als es immer kälter wurde und der Bär nach vorn fiel, in den Himmel sah und dann die Augen schloß, kam ein kleiner Vogel geflogen, setzte sich auf sein Ohr, pickte ihn und sagte: "Kalt ist es, Bär, Könntest du mich ein Stück tragen? Ich kann nicht mehr fliegen wegen der Kälte und ich würde dir ein bisschen vorsingen."
Da stand der Bär auf, nahm den federleichten Vogel auf seine Schulter und sie gingen zusammen in die Stadt. Während sie gingen, versuchte der Vogel ein Lied, so gut es bei der Kälte möglich war. Der Bär lauschte, der Sommer fiel ihm wieder ein, und er ging ganz vorsichtig, um die Melodie nicht zu verwackeln.
Es war schon mitten in der Nacht, als sie in die Stadt kamen. Hinter den Fenster waren die Kerzen ausgebrannt und die Leute waren unterwegs in die Kirche. Der Bär ging hinter ihnen her und lauschte dem Lied, das der Vogel ihm ganz leise ins Ohr sang. In seinen Augen ging ein kleines Licht auf. Der Vogel sah es, wärmte sich daran und bald schnitt ihnen auch die Kälte nicht mehr so in die Beine.
Als sie an der Kirche ankamen, ließ der Küster sie nicht hinein. "Bären und Vögel haben hier bitte keinen Zutritt. Das ist die Vorschrift. Auch kann ich keine Ausnahme machen, denn die Kirche ist überfüllt. Kinder und alte Frauen könnten sich ängstigen. Morgen oder übermorgen geht es vielleicht, denn meistens bin ich nicht so streng."
Das Letzte sagte er, weil heute Weihnachten war.
Aber dem Bären und dem Vogel war das egal. Sie froren nicht mehr und setzten sich neben die Tür. Der Himmel war ihnen wie ein großes Dach und die Welt hatte keinen Anfang und kein Ende.
Kinder kamen vorbei und sagten zu ihren Müttern und Vätern: "Was ist dort mit dem Bären? Ist er ein verwunschener Prinz oder etwa der Bärenkönig persönlich?" "Kein Prinz und kein König", sagten die Eltern, "wir haben jetzt keine Zeit und morgen werden wir ihm etwas zu fressen bringen. Schluss jetzt!"
Als der Vogel immer leiser sang und der Bär sah, dass er die Augen zuhatte, verbarg er ihn vorsichtig und warm in seinen Pfoten und rührte sich nicht, um ihn nicht zu wecken. Auch dem Bären fielen bald die Augen zu und er träumte das Lied zu Ende.
Inzwischen kamen die Leute aus der Kirche, gingen vorbei und nach Haus, denn das Fest hatte sie müde gemacht. Die Kirchentür wurde verschlossen und der Küster hatte Feierabend.
Als die Nacht aber am höchsten war, kam ein Engel vorbei und trug die beiden zurück in einen Wald, in dem es niemals wieder so kalt wurde.
Janosch, Das große Janosch-Buch, 1976, Basel / Weinheim, Beltz und Gelberg
http://www.youtube.com/watch?v=tq0QdTZ_nuM
Im Sommer ging es ihm gut, verdiente er doch seinen Lebensunterhalt mit Bienenzucht und Honighandel , Beerensammeln und ähnlichen kleineren Arbeiten. Auch mit den Waldleuten vertrug er sich gut, weil er leutselig war, auch niemals hinterlistig oder nachtragend, wenn ihn jemand im Spaß oder aus Versehen gehänselt hatte. Gemeinheit oder Bosheit war ihm fremd und er war für die anderen Tiere so wie ein lieber Großvater. Sie kamen zu ihm und flüsterten ihre Sorgen in sein Ohr, der Bär sagte nie etwas weiter.
Auch im Winter ging es ihm nicht schlecht. Er hatte ja einen warmen Mantel aus Bären fell, und er hatte kleine Vorräte in seiner Höhle angelegt, die fast immer ausreichten. Er hatte Honig, etwas Espenlaub (was zerrieben, mit Pilzen und Schnee angerührt, mit Honig gesüßt, ein wunderbares Bärenmahl ergibt) und er hatte Baumblätter sauber gefaltet unter seinem Kopfkissen gesammelt, auf denen er an langen Winterabenden die Geschichte vom Sommer lesen konnte.
Nur im letzten Winter, da war es besonders kalt. Der Wind hatte dem Bären den Schnee bis direkt vor das Bett geweht. Die Luft war wie kaltes Glas und die Vögel fielen erstarrt in den Schnee. Und als die Heilige Nacht kam, stand der Mond kümmerlich und blass am Himmel.
Dem Bären war so kalt wie noch nie und er sagte sich: "Es ist so kalt, dass ich es nicht mehr aushalten kann. Ich werde jetzt in die Stadt gehen zu den Menschen. Vielleicht treffe ich einen Bekannten oder finde einen warmen Platz am Ofen oder jemand schenkt mir eine Brotsuppe. Heute ist die große Nacht, da sind die Menschen gut zueinander."
Da hatte er auch Recht.
Er rieb sich die Pfoten, ging vor die Höhle und rief in den Wald: "Geht jemand mit in die Stadt? Es gibt eine warme Brotsuppe und ein schönes Fest. Niemand?"
Bloß das Echo rief zurück: Niemand.
Da ging der Bär allein den Rehweg entlang, der ja geradeaus zu den ersten Häusern führt. Lieber wäre er nicht allein gegangen, denn der Weg ist besser, wenn man ihn zu zweit wandert. Manchmal blieb er deshalb stehen, hielt die Pfoten an die Schnauze und rief: "Niemand, der mitgeht in die Stadt? Es gibt ein großes Fest."
Aber es gab keine Antwort.
Und als es immer kälter wurde und der Bär nach vorn fiel, in den Himmel sah und dann die Augen schloß, kam ein kleiner Vogel geflogen, setzte sich auf sein Ohr, pickte ihn und sagte: "Kalt ist es, Bär, Könntest du mich ein Stück tragen? Ich kann nicht mehr fliegen wegen der Kälte und ich würde dir ein bisschen vorsingen."
Da stand der Bär auf, nahm den federleichten Vogel auf seine Schulter und sie gingen zusammen in die Stadt. Während sie gingen, versuchte der Vogel ein Lied, so gut es bei der Kälte möglich war. Der Bär lauschte, der Sommer fiel ihm wieder ein, und er ging ganz vorsichtig, um die Melodie nicht zu verwackeln.
Es war schon mitten in der Nacht, als sie in die Stadt kamen. Hinter den Fenster waren die Kerzen ausgebrannt und die Leute waren unterwegs in die Kirche. Der Bär ging hinter ihnen her und lauschte dem Lied, das der Vogel ihm ganz leise ins Ohr sang. In seinen Augen ging ein kleines Licht auf. Der Vogel sah es, wärmte sich daran und bald schnitt ihnen auch die Kälte nicht mehr so in die Beine.
Als sie an der Kirche ankamen, ließ der Küster sie nicht hinein. "Bären und Vögel haben hier bitte keinen Zutritt. Das ist die Vorschrift. Auch kann ich keine Ausnahme machen, denn die Kirche ist überfüllt. Kinder und alte Frauen könnten sich ängstigen. Morgen oder übermorgen geht es vielleicht, denn meistens bin ich nicht so streng."
Das Letzte sagte er, weil heute Weihnachten war.
Aber dem Bären und dem Vogel war das egal. Sie froren nicht mehr und setzten sich neben die Tür. Der Himmel war ihnen wie ein großes Dach und die Welt hatte keinen Anfang und kein Ende.
Kinder kamen vorbei und sagten zu ihren Müttern und Vätern: "Was ist dort mit dem Bären? Ist er ein verwunschener Prinz oder etwa der Bärenkönig persönlich?" "Kein Prinz und kein König", sagten die Eltern, "wir haben jetzt keine Zeit und morgen werden wir ihm etwas zu fressen bringen. Schluss jetzt!"
Als der Vogel immer leiser sang und der Bär sah, dass er die Augen zuhatte, verbarg er ihn vorsichtig und warm in seinen Pfoten und rührte sich nicht, um ihn nicht zu wecken. Auch dem Bären fielen bald die Augen zu und er träumte das Lied zu Ende.
Inzwischen kamen die Leute aus der Kirche, gingen vorbei und nach Haus, denn das Fest hatte sie müde gemacht. Die Kirchentür wurde verschlossen und der Küster hatte Feierabend.
Als die Nacht aber am höchsten war, kam ein Engel vorbei und trug die beiden zurück in einen Wald, in dem es niemals wieder so kalt wurde.
Janosch, Das große Janosch-Buch, 1976, Basel / Weinheim, Beltz und Gelberg
http://www.youtube.com/watch?v=tq0QdTZ_nuM
http://www.berliner-zeitung.de/archiv/der-schnee-und-die-zeit - Auch im Sommer Lebende sind sich des Winters bewusst... sehr sogar.
L.