... salut de nouveau

Wieder auf Reisen.
Du fragst oft nach mir.
Ich telephonier
noch vorm Zubettgehen mit dir.


Freu mich auf den Moment,
wenn ich steh in der Tür,

und du läufst mir jauchzend entgegen.

...

Und dann öffne ich meine Arme für dich.
Ja, dann öffne ich meine Arme für dich!


Dann öffne ich meine Arme, Gerhard Schöne (1992)


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Freitag, 28. April 2017

Hundert Freuden


Es gelüstete ihn nach Glück,
es gelüstete ihn nach Wahrheit,
es gelüstete ihn nach Ewigkeit,
da schaut her!

Kaum unterschied er Traum von Wirklichkeit,
kaum kam er dahinter, er sei doch er,
kaum hatte er mit der Hand, der Herkunft nach Flosse,
den Feuerstein und die Rakete geschnitzt,
er, in einem Löffel Ozean leicht zu ertränken,
zu wenig komisch sogar, um die Leere lachen zu machen,
der nur mit den Augen sieht,
der nur mit den Ohren hört;
seiner Rede Rekord ist der Konditionalis,
er tadelt mit dem Verstand den Verstand, 
mit einem Wort: fast niemand,
aber er hatte sich die Freiheit, das Allwissen und das Sein in den Kopf gesetzt
jenseits des unklugen Fleisches,
da schaut her!

Denn vorhanden ist er wohl,
er kam in Wahrheit vor 
auf einem der provinziellen Sterne.
Auf seine Art vital und ziemlich rührig.
Als eine mickrige Mißgeburt des Kristalls - 
recht ernst erstaunt.

Als einer mit schwieriger Kindheit in den Zwängen der Herde - 
schon gar nicht so übel einzeln.
Da schaut her!

Nur weiter so, weiter und sei es für einen Moment,
ein kurzes Aufblitzen einer kleinen Galaxis!
Es zeige sich endlich im großen und ganzen,
was er sein wird, da er ist.
Und er ist - verbissen.
Verbissen, zugegeben, sehr.
Mit diesem Ring in der Nase, in dieser Toga, in diesem Pullover.
Hundert Freuden, komme was wolle.
Armes Ding.
Leibhaftiger Mensch.

Wisława Szymborska
aus: Wisława Szymborska, Deshalb leben wir, Suhrkamp, 1980, Frankfurt am Main






Sonntag, 16. April 2017

Lebenslauf


Ich war kein Stein keine Wolke
keine Glocke und keine Laute
geschlagen von einem Engel oder von einem Teufel
Ich war von Anfang an nichts als ein Mensch
und ich will auch nicht etwas anderes sein

Als Mensch bin ich aufgewachsen
und habe Unrecht erlitten
und manchmal Unrecht getan
und manchmal Gutes

Als Mensch empöre ich mich
gegen Unrecht und freue mich 
über jeden Schimmer von Hoffnung
Als Mensch bin ich wach und müde
und arbeite und habe Sorgen
und Hunger nach Verstehen
und nach Verstandenwerden

Als Mensch habe ich Freude an meinen Freunden
und habe Freude an Frau und Kindern und Enkeln
und habe Angst um sie und Sehnsucht nach Sicherheit
und will mit Menschen sein und manchmal allein sein
und bedauere jede Nacht ohne Liebe 

Als Mensch bin ich krank und alte
und werde sterben
und werde kein Stein sein
keine Wolke und keine Glocke
sondern Erde und Asche
und darauf kommt es nicht an

Erich Fried
aus: Erich Fried, Gedichte, dtv, 1995, München


Freitag, 14. April 2017

Die Warner


Wenn Leute dir sagen:
"Kümmere dich nicht
soviel 
um dich selbst"
dann sieh dir
die Leute an
die dir das sagen:
An ihnen kannst du erkennen
wie das ist
wenn einer 
sich nicht genug 
um sich selbst 
gekümmert hat

Erich Fried
aus: Erich Fried, Gedichte, dtv, 1995, München


Donnerstag, 13. April 2017

Lob der Verzweiflung


Es ist ein verzweifeltes Tun
die Verzweiflung herunterzumachen
denn die Verzweiflung macht unser Leben zu dem was es ist
Sie denkt das aus
vor dem wir Ausflüchte suchen
Sie sieht dem ins Gesicht
vor dem wir die Augen verschließen

Keiner der weniger oberflächlich wäre als sie
Keiner der bessere Argumente hätte als sie
Keine der in Erwägung all dessen
was sie und wir wissen
mehr Recht darauf hätte als sie
so zu sein wie sie ist

Früh am Morgen fühlt sie sich fast noch glücklich
Erst langsam erkennt sie sich selbt
Nach den ersten Worten
die sie mit irgendwem wechselt beginnt sie zu wissen: 
sie ist nicht froh
sie ist noch immer sie selbst

Die Verzweiflung ist nicht frei von Launen und Schwächen
Ob ihr Witz eine Stärke oder eine Schwäche ist
weiß sie selbst nicht
Sie kann zornig sein
sie kann bissig und ungerecht sein
sie kann zu besorgt sein um ihre eigene Würde

Aber ohne den Mut zur Verzweiflung wäre vielleicht
noch weniger Würde zu finden
noch weniger Ehrlichkeit
noch weniger Stolz der Ohnmacht gegen die Macht
Es ist ungerecht die Verzweiflung zu verdammen
Ohne Verzweiflung müßten wir alle verzweifeln

Erich Fried
aus: Erich Fried, Gedichte, dtv, 1995, München


Dienstag, 11. April 2017

Schwache Stunde


Nun geben
die  Antworten
den Antworten
fertige Antwort
und die Fragen
fragen nicht mehr

Was wären das auch
für Fragen?
"Hast du die Liebe gesehen?
Warum läuft sie davon?
Seit wann
geht Liebe
nicht mehr 
zur Liebe?

Was ist das für eine Liebe
die so etwas tut?
Ihre feindlichen

fernen Verwandten
sind so
Aber sie 
heißt doch Liebe?

Soll man sie
anders nennen?
Und kann man sie rufen
daß sie umkehrt
und nicht davonläuft?"
Das wären noch immer
Fragen

Aber die Fragen
fragen nicht mehr
und nur 
die fertigen Antworten
geben den Antworten
Antwort

Erich Fried
aus: Erich Fried, Gedichte, dtv, 1995, München


Samstag, 8. April 2017

Jedenfalls


Es hätte geschehen können.
Es hätte geschehen müssen.
Es war schon geschehen. Später.
Näher. Ferner.
Es ist nicht dir geschehen.

Du überlebtest, denn du bist der erste gewesen.
Du überlebtest, denn du bist der letzte gewesen.
Weil selbst. Weil die Menschen.
Weil links. Weil rechts.
Weil Regen. Weil Schatten.
Weil Sonne.

Zum Glück gabs den Wald.
Zum Glück keine Bäume.
Zum Glück das Gleis, den Haken, den Balken, die Bremse,
die Nische, die Kurve, den Millimeter, eine Sekunde.
Zum Glück schwamm ein Strohhalm im Wasser.

Infolge, deswegen, und dennoch, trotzdem. 
Was wär, wenn das Hand, das Bein,
einen Schritt, eines Haares Breite
vom Zufall.

Also du bist? Stracks aus dem noch durchlässigen Moment?
Das Netz aus einer Masche, und du durch diese Masche? 

Ich kann mich nicht genug darüber wundern, schweigen. 

Höre, 
wie schnell mir dein Herz schlägt.

Wisława Szymborska
aus: Wisława Szymborska, Salz. Gedichte, Suhrkamp Verlag, 1973, Frankfurt




Dienstag, 4. April 2017

VIELLEICHT WIRD'S NIE WIEDER SO SCHÖN


Ich denk noch manchmal an den Sonntag,
ich war vielleicht acht Jahre alt.
Ich ging mit Vater ins Museum,
da drinnen war es hundekalt.
Er nahm mich unter seinen Mantel
und sagte: "Komm, wir spieln Kamel!"
Wir stapften kichernd durchs Museum,
die Aufsichtstanten guckten scheel.
An der verschneiten Haltestelle
durft ich auf seinen Füßen stehn.
Ich hielt mich fest an ihm und dachte:
"Vielleicht wird's nie wieder so schön.

Bevor wir auseinander gingen,
fuhr unsere Klasse noch einmal
in ein Barackenferienlager
mit einem kleinen See im Tal.
Am letzten Abend ein Getuschel:
"Wir treffen uns am See heut Nacht."
Wir schlichen uns aus den Baracken,
die Lehrer sind nicht aufgewacht.
Wir schwammen nackt ans andre Ufer
und haben uns schüchtern angesehn
im weißen Mondlicht. Und ich dachte:
"Vielleicht wird's nie wieder so schön,
hee, mmh, vielleicht wird's nie wieder so schön."

Am Bahnsteig lernte ich sie kennen,
sie hatten ihren Zug verpasst,
die sieben polnischen Studenten,
jetzt waren sie bei mir zu Gast.
Die Mädchen schmierten ein paar Brote,
die Jungen haben Wein besorgt,
und ich hab mir bei meinen Nachbarn
'nen Stapel Decken ausgeborgt.
Wir sangen "Dona nobis pacem",
"Give peace a chance" und "Penny Lane".
Als wir uns früh umarmten, dacht ich:
"Vielleicht wird's nie wieder so schön,
mmh, hee, vielleicht wird's nie wieder so schön."

Damals im Zelt mit meiner Freundin,
die erste Nacht mit ihr allein.
Wir wagten nicht, uns auszuziehen
und krochen in den Schlafsack rein.
Wir schmiegten uns ganz aneinander,
ich hab nur ihr Gesicht berührt.
Als sie schon schlief, hab ich noch immer
ihr Atmen wie ein Glück gespürt.
Obwohl mir schon die Arme schmerzten,
ich dacht nicht dran, mich umzudrehn.
Es wurde Morgen, und ich dachte:
"Vielleicht wird's nie wieder so schön,
mmh, vielleicht wird's nie wieder so schön."

Noch manchmal, wenn wir uns umarmten,
oft grundlos traurig, grundlos froh.
Einmal, als ich ein Mädchen hörte
in einer Kirche, irgendwo.
Als wir klitschnass am Waldrand hockten,
und ein Regenbogen stand.
Und wenn ich plötzlich Menschen mochte,
die ich zuvor noch nicht gekannt.
Wenn ich's vor Heimweh nicht mehr aushielt,
fuhr nachts zurück, um dich zu sehn.
In vielen Augenblicken dacht ich:
"Vielleicht wird's nie wieder so schön,
mmh, hee, vielleicht wird's nie wieder so schön."

Gerhard Schöne






Dienstag, 24. November 2015

Ich danke dir, mein Herz


Ich danke dir, mein Herz,
daß du nicht säumst, daß du dich regst
ohne Entgelt und ohne Lob,
aus angeborenem Fleiß.

Siebzig Verdienste hast du in einer Minute.
Jede deiner Muskelbewegungen
ist wie ein Anstoß des Bootes
ins offene Meer
zur Fahrt um die Welt.

Ich danke dir, mein Herz,
daß du mich ab und zu
herausnimmst aus der Ganzheit,
als Einzelheit selbst im Traum.

Du sorgst dafür, daß ich mich nicht
ganz und gar verflüchtige
in einem Flug,
der keine Flügel brauchst.

Ich danke dir, mein Herz,
daß ich wieder erwacht bin - 
und obwohl es Sonntag ist,
ein Tag der Ruhe,
hält der Verkehr unter den Rippen an
wie sonst an den Wochentagen.

Wisława Szymborska
aus: Wisława Szymborska, Deshalb leben wir, Suhrkamp, 1980, Frankfurt am Main