Ich
habe keine Angst, was soll passieren? Man
wird es sehen und ausprobieren, die
Windungen in den Lenden und
es wird schon wieder gut gehen.
Der
Wind trägt sie davon.
Was
wolltest Du vom großen Wagen, wohin
soll Dein Auftrag Dich verschlagen? Der
Augenblick in Samt gehüllt, auch
wenn das keinen Sinn hat,
der
Wind trägt ihn davon. Nichts
von alledem wird bleiben, der
Wind trägt uns davon.
Liebkosungen
und Kugelhagel, alle
Wunden, die uns plagen, Geschmack
aus einer anderen Zeit, von
gestern oder morgen.
Der
Wind trägt ihn davon.
Am
Waffengurt die Entwicklungslehre, Chromosomen
in der Atmosphäre. Mit
dem Taxi in die Galaxie. Und
auch mein fliegender Teppich,
ihn
trägt der Wind davon. Nichts
von alledem wird bleiben, der
Wind trägt uns davon.
Wohlgeruch
vergangener Zeiten. Wer
könnte an Deiner Türe läuten? Eine
Unzahl von Bestimmungen - such
Dir eine aus. Was wird Dir davon bleiben?
Der
Wind trägt sie davon.
Fluten
überschwemmen Land und Felder, jeder
macht die Abrechnung mit sich selber und
ich nehme mit in meine Schattenwelt, was
mir von Deinem Staub bleibt.
Der
Wind trägt ihn davon. Nichts
von alledem wird bleiben, der
Wind trägt uns davon.
Felix Meyer
Ich
brenne, wie die Liebe brennt. Ich
bin der Fluch, den jeder kennt. Ich
bin so heiß vor Liebesglut Und
rase doch vor Wut.
Als
Adam spät nach Hause kam Da
trieb ich Eva listig an, Seine
Rippen nachzuzählen Es
könnt ja eine fehlen
Ich
finde keine Ruh
Ich
bin das Gift, das langsam wirkt Bin
der Riss, den man verbirgt Vorwurf
frisst in mir und Neid. Wo
ich bin, ist Leid
Ich
finde keine Ruh Argwohn
treibt mich um und Niemals
sag ich du
Ich
schleiche mich in Liebesnächte In
mir toben böse Mächte Ich
kann mit scharfen Augen sehn Und
doch nichts verstehen.
Ich
finde keine Ruh
Ich
bin der Liebe arme Schwester Zerstöre
gerne ihre Nester. Ich
will haben und nicht geben. Herrschen
statt zu leben.
Ich
finde keine Ruh Argwohn
treibt mich um und Niemals
sag ich du
Ich
bin so hart, kann nicht verzeihen Ahne
schon, ich bleib allein Meine
Seele ist versperrt Und
mein Blick verzerrt
Ich
finde keine Ruh
Ich
geh in meiner Schwester Spur Doch
wenn sie singt, dann schrei ich nur Und
wenn meine Schwester tanzt Vergehe
ich vor Angst
Ich
finde keine Ruh Argwohn
treibt mich um und Niemals
sag ich du
The
moon in the bureau mirror looks out a million miles (and
perhaps with pride, at herself, but she never, never smiles) far
and away beyond sleep, or perhaps she's a daytime sleeper.
By
the Universe deserted, she'd tell it to go to hell, and she'd
find a body of water, or a mirror, on which to dwell. So wrap
up care in a cobweb and drop it down the well
into that
world inverted where left is always right, where the shadows
are really the body, where we stay awake all night, where the
heavens are shallow as the sea is now deep, and you love me.
Elizabeth
Bishop
aus: Elizabeth Bishop, The Complete Poems, Farrar, Straus and Giroux, 1969, New York
Ich wollte damals alles umgestalten Und wußte nicht, daß Änderung unmöglich, Wenn wir das Äußre, nicht das Innre wenden, Weil alles Leben in der Waage schwebet, Daß ewig das Verhältnis wiederkehret Und jeder, der zerstört, sich selbst zerstöret.
Clemens Brentano, Szene aus meinen Kinderjahren, um 1800
Sie fühlt sich lebendig, ihr Herz schlug schneller, wenn er vor ihrer Tür stand, und sie betrachtete jeden Morgen, als würde sie ein Geschenk auspacken. Sie lachte oder schlug die Beine übereinander oder schwang leicht die Hüften und war sich ihrer selbst dabei bewusster als früher. ... Nachdem sie sich geliebt hatten, ließ sie den Abdruck seines Kopfes auf dem Kissen unberührt, als wollte sie sein Wesen bis zum nächsten Mal bewahren. Sie standen oft auf dem Balkon und beobachteten die Pfaue auf dem Dach des verlassenen Hauses, hielten sich dabei manchmal an den Händen, und dann dachte sie an das nächste und das übernächste Mal, wenn sie es wieder tun würden. Das war Liebe, den nächsten Tag nicht erwarten können. Chimamanda Ngozi Adichie aus: Chimamanda Ngozi Adichie, Americanah, S. Fischer, 2013, Frankfurt am Main
Wenn ich zu ihm kam, stand er gedankenschwer vom schreibtisch auf. ich hatte geduscht, er hatte gedacht. "Ja, vielleicht liegt mir gar nicht an einem anderen menschen", sann er einmal. "aber ich brauche manchmal auch wärme und feuchtigkeit." Ein mensch, der wärme und feuchtigkeit braucht - was gibt es dagegen zu sagen?
Verena Stefan, Häutungen, Frauenoffensive, 1975, München
Come al solito - per M. e come al solito: troppo tardi.
So war das vor dreihundert Jahren mit dem damals nicht existierenden Fenster. Eisen, Holz, verrußte Öfen, modernde Dachziegel, Stickluft, das Halbdunkel bewölkter Tage, Feuchtigkeit, die niedrige Decke, Mäuse, die Wände von Gerüchen durchdrungen, und Türen, eine Vielzahl von Türen, Fluchten von Zimmern, Fluren, Schränken, Anrichten, Kisten, Fächern, in denen Staub, Spinnweben und abgestandene Luft der Zeit ausgesetzt waren, ihrem monotonen Strömen, das seinen Niederschlag auf der Oberfläche der Dinge hinterläßt. Das alles gleicht so sehr dem Gedächtnis mit seiner unberechenbaren Struktur und der unfaßbaren Zahl von Orten, an denen alles wieder und noch einmal von vorn beginnen kann wie in einem wahnwitzigen Inventar, einem gründlichen Verzeichnis der Dinge und Möglichkeiten, das niemals seinen Grund erreicht, denn immer tut sich gleich ein weiterer auf und noch einer, denn der kleinste Augenblick teilt sich ja in noch kleinere, und diese kleineren zersprühen wie ein Funkenregen zu Hunderten von Sternen, und jeder von ihnen ist anders in Farbe, Geschmack und Gestalt, und so immer weiter, bis der Verstand selbst explodiert: das ist die einzige Unendlichkeit, die wir haben, alles andere sind nur Krümel von ihr, zum Quadrat erhoben und reglos gemacht, also leblos.
Endlich passierte etwas. Jemand trat ein. Nur zwei Leute, doch das genügte. Ich stand auf, verließ die Kneipe und versuchte, den Tunnel zu finden, jene Passage, die sie mit mit ihren eigenen Leibern durch den Nachmittag gegraben hatten.
Andrzej Stasiuk
aus: Andrzej Stasiuk, Die Welt hinter Dukla, Suhrkamp, 2002, Frankfurt am Main
The still explosions on the rocks, the lichens, grow by spreading, gray, concentric shocks. They have arranged to meet the rings around the moon, although within our memories they have not changed. And since the heavens will attend as long on us, you've been, dear friend, precipitate and pragmatical; and look what happens. For Time is nothing if not amenable. The shooting stars in your black hair in bright formation are flocking where, so straight, so soon? - Come, let me wash it in this big tin basin, battered and shiny like the moon. Elizabeth Bishop from: Elizabeth Bishop, The Complete Poems, Farrar, Straus and Giroux, 1969, New York
So war das. Kaum einen Kilometer in der Minute, also hing das alles lange genug in der Luft, um ins Gedächtnis zu sinken; einen Abdruck zu hinterlassen wie Millionen anderer Bilder, die man dann in sich trägt und derentwegen der Mensch einem wirren Kaleidoskop gleicht und das Leben einer Halluzination, denn nichts von dem, was man betrachtet, ist, was es ist. Immer scheint etwas durch, schwimmt an die Oberfläche wie ein Tropfen Olivenöl, opalisiert, schillert und lockt wie Teufelswerk, wie ein Irrlicht, eine unendliche Verführung. Nichts kann man anfassen, ohne gleich etwas anderes zu berühren. Wie in einem alten Haus, wo ein leiser Tritt genügt, damit zwei Zimmer weiter die Gläser in der Anrichte klirren. So funktioniert der Verstand, und so bewahrt er uns vor dem Wahnsinn, denn wie könnte man leben, wenn die Ereignisse in der Zeit steckten wie Nägel in der Wand? Die Spinnweben der Erinnerung umgarnen den Kopf, und auch die Gegenwart ist deshalb nebelhaft, man kann sich sicher sein, daß sie fast schmerzlos zur Vergangenheit werden wird. Andrzej Stasiuk aus: Andrzej Stasiuk, Die Welt hinter Dukla, Suhrkamp, 2002, Frankfurt am Main
Und während ich so dastand, die Sonne im Rücken, mußte ich an unseren Hund Mohr denken, der, als er schon blind und taub geworden war und uns nur mit Mühe erkannte, eines Tages nicht mehr nach Hause kam. Er war verschwunden und wurde, obwohl wir ihn viele Tage lang suchten, nie wieder gefunden, als wollte er uns die Hoffnung lassen, er sei ganz einfach weggegangen, so wie er uns vor gut zehn Jahren zugelaufen war. Wenn die Tiere sich eine Religion ausdenken sollten, dachte ich, dann würden sie darin den reinen Raum verehren, so wie unser Wahnsinn sich immerfort um die Zeit dreht. Andrzej Stasiuk aus: Andrzej Stasiuk, Die Welt hinter Dukla, Suhrkamp, 2002, Frankfurt am Main
Das Schienennetz verlor sich zwischen niedriger Bebauung. Es war von Rost bedeckt. Gestrüpp, versteckte Winkel, der Geruch der erhitzten Teerdächer - gerade richtig, um sich hinzusetzen, Obstwein zu trinken und die Fernzüge zu betrachten, in die man niemals einsteigen wird. Besonnte Mauern, kleine Sitzbänke aus ein paar Ziegelsteinen und einem Brett, das Funkeln grüner und brauner Glassplitter, weiße Kapseln, die bunten Müllzungen, die von den Halden herunterleckten, und ein zwölfjähriges Mädchen in Mamas hochhackigen Schuhen mit einem lackierten Kinderwagen, der seine fünfzehn Jahre alt war. Die Eisenbahnvorstädte erinnern immer an Niemandsland - weder lebt, noch wohnt, noch arbeitet man dort, deshalb ist alles erlaubt, und die faulen Züge, die eben erst Anlauf nehmen oder schon wieder abbremsen, verbreiten eine unwirkliche Atmosphäre, und alles ertrinkt im Halbschlaf der Peripherie zwischen Kindheit und Reife, wo Traum und Realität nicht zu trennen sind.
Andrzej Stasiuk
aus: Andrzej Stasiuk, Die Welt hinter Dukla, Suhrkamp, 2002, Frankfurt am Main
Ich versenke mich in alle Bücher, die mir in die Hände fallen, und tauch erst wieder aus ihnen auf, wenn der Vorhang fällt. Ein Buch ist eine Welt, eine fertige Welt, eine Welt mit einem Anfang und einem Ende. Jede Seite eines Buches ist eine Stadt. Jede Zeile ist eine Straße. Jedes Wort ist eine Behausung. Meine Augen ziehen durch die Straße, öffnen jede Tür, dringen in jede Behausung ein. [...] Ich versuche nicht, mich an das zu erinnern, was in einem Buch passiert. Heute früh, beim Aufwachen aus meinem Buch empfand ich ein köstliches Gefühl von Trunkenheit und Weite, eine große Ungeduld, eine herrliche Lust. Alles, was ich von einem Buch Buch verlange, ist, mir genau auf diese Weise Energie und Mut einzuflößen, mir genau so zu sagen, dass es mehr im Leben gibt, als ich mir einverleiben kann, mir genau so die Dringlichkeit des Handels ins Gedächtnis zu rufen."
Bérénice in "Von Verschlungenen verschlungen" von Réjean Ducharme (1941-2017)