wie ich Brot in Salz tunke und verzehre, wie ich in der Nacht, vom Fieber geweckt, den Mund an den Wasserhahn presse und trinke, wie ich ein rätselhaftes, schweres Postpaket öffne, argwöhnisch und fröhlich, ich liebe dich, wie wenn ich zum ersten Mal im Flugzeug das Meer überquere, wie etwas, das sich in mir rührt, wenn weich der Abend über Istanbul hereinsinkt, ich liebe dich, wie ich sage: Danke - wir leben. Nâzim Hikmet aus: Nâzim Hikmet, Die Namen der Sehnsucht, Ammann Verlag, 2008, Zürich
nicht, was ist, sondern was zwischen uns sein sollte, meine Sehnsucht, an unerreichbaren Zweigen wachsend, mein Durst, vom Brunnen der Träume verscheucht, meine ins Licht gezeichneten Bilder. Alles, was ich über uns schrieb, ist wahr: deine Schönheit ein Früchtekorb, ein Picknick im Feld, mein Ohnedichsein wie ich im hintersten Winkel der Stadt die letzte Straßenlaterne abgebe, meine Eifersucht wie ich nachts zwischen Eisenbahnzügen umherrenne mit verbundenen Augen, mein Glück ein Fluß, der Dämme niederreißt und sonnenglänzend dahinströmt. Alles, was ich über uns schrieb, ist Lüge, ist wahr. Leipzig, den 30. September 1960 Nâzim Hikmet aus: Nâzim Hikmet, Die Namen der Sehnsucht, Ammann Verlag, 2008, Zürich
Mein Lieb mach sacht die Augen zu wie etwas weich ins Wasser gleitet so leicht und rein fall du in Schlaf ein süßer Traum ist dir bereitet schlummre du... Mein Lieb mach sacht die Augen zu sei ganz bei mir laß dich in Ruh schlummre du laß mich im Schlaf ganz bei dir sein schlummre du... Mein Lieb mach sacht die Augen grüngelbbraungoldne Äugelein schlummre mein Liebes schlummre ein
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Du hoch oben zwischen mit Früchten behangenen Zweigen, die grünen Augen voll Sonne, die Lippen honigbeschmiert. Ich hier unten, am Baumstamm, einen Fuß in der Grube... Lange vor dir muß ich fort, im Alter bist du allein. Nâzim Hikmet aus: Nâzim Hikmet, Die Namen der Sehnsucht, Ammann Verlag, 2008, Zürich
Im Traum sah ich die Liebste, mit bloßen Brüsten, so, von der Taille nach oben wie ein Mond zwischen Wolken geht sie dahin. Sie geht, ich gehe, ich bleibe stehen, sie auch, ich schaue sie an und sie mich. Tränentropfen fallen auf Telegrafendrähte. Drähte: Nachricht, Tränen, Freude. Ein glücklicher Traum, das muß reichen. Ibrahim hat noch zehn Jahre Knast. Nâzim Hikmet aus: Nâzim Hikmet, Die Namen der Sehnsucht, Ammann Verlag, 2008, Zürich
Ein Dichter macht eine Reise von einem Meer unserer Welt blickt er auf einen Stern. Ein Dichter geht auf die Reise von dem Meer eines Sterns blickt er auf unsere Welt. Dichter sind auf Reisen auf den Meeren des Weltalls blickt einer den anderen an. Nâzim Hikmet, Mittelmeer, 1960
Vergiß die blühenden Mandelbäume. Es hilft nicht, an Dinge, die dahin sind, soll man nicht länger denken. Trockne dein nasses Haar in der Sonne: weich wie überreife Früchte schimmern die feuchten tiefroten Strähnen... Liebste, meine Liebste, wir haben Herbst... Nâzim Hikmet
ÜBER DEM MEER BUNTE WOLKEN auf ihm ein silbernes Schiff in ihm gelbe Fische am Grund blaue Algen am Ufer ein nackter Mann hält inne und denkt. Wenn ich Wolke wäre oder Schiff oder ein Fisch oder Alge? Keins von allem. Man muß Meer sein, mein Sohn, mit seinen Wolken, Schiffen, Fischen und Algen. Nâzim Hikmet, Arhipo Osipovka, 15. September 1958
ALLE TÜREN GESCHLOSSEN, Vorhänge zugezogen. Kein taschentuchblauer Himmel, keine Handvoll Sterne. Wird der Tod mich hier beim Kragen packen, meine Rose, komme ich aus der Stadt nie wieder heraus? Nâzim Hikmet, Leipzig, 6. August 1959