Deinen Briefumschlag mit den zwei gelben und roten Marken habe ich eingepflanzt in den Blumentopf Ich will ihn täglich begießen dann wachsen mir deine Briefe Schöne und traurige Briefe und Briefe die nach dir riechen Ich hätte das früher tun sollen nicht erst so spät im Jahr Erich Fried aus: Erich Fried, "Gedichte", dtv, 1995, München
Ich seh oft Birken, krumm nach links und rechts quer zu den Linien grader, dunkler Bäume, dann denk ich gern, ein Bub hat sie geschaukelt. Doch Schaukeln biegt sie nicht bis an den Boden. Ein Eissturm schafft's. Du hast wohl gesehen, mit Eis bepackt, an sonnigen Wintermorgen nach einem Regen. Sie knacken aneinander bei frischem Wind und werden viele Farben, wenn die Glasur durch die Bewegung bricht. Die Sonne wärmt, sie werfen ihr Kristall wie in Kaskaden auf den Schnee hinab - ein großer Haufen Scherben, dass man meint, des Himmels Innenkuppel sei gestürzt. Die Last zieht sie herab auf alten Farn, sie brechen nicht; doch wenn so lang gebückt, dann richten sie sich nie mehr auf: Du siehst noch jahrelang im Wald die Stämme gebogen, mit den Blättern auf dem Boden wie Mädchen, die auf Händen und auf Knien ihr Haar zum Sonnentrocknen vor sich werfen. Doch wollt ich sagen, als die Wahrheit sich zum Thema Eissturm nüchtern eingemischt hat: Mir wär es lieber, dass ein Bub sie bog, als er die Kühe draußen holen ging. Ein Bub, weit weg vom Baseball in der Stadt, der nur zum Spielen hatte, was er fand, das ganze Jahr beim Spiel sich selbst genug. Des Vaters Bäume unterwarf er alle, zwang rittlings einen nach dem andern nieder, bis ihre Starrheit ausgetrieben war; und alle hingen schlaff, nicht einer blieb noch zu erobern. Alles lernte er, was es zu lernen gab: Sich nicht zu bald hinauszuwerfen, da der Baum dann nicht bis zum Boden reichte. Stets hielt er die Balance, wenn er bis zu den höchsten Ästen stieg, behutsam, wie man eine Tasse füllt, bis an den Rand und dann sogar noch drüber. Dann schwang er sich zur Seite, Füße vor, und strampelt' durch die Luft zum Boden runter. Auch ich war einmal so ein Birkenschaukler. Ich träum' davon, die Zeit zurückzudrehn, meist wenn ich müde bin vom Grübeln und das Leben wie ein wegeloser Wald ist, wo das Gesicht von Spinnennetzen juckt, die es zerriss, und wo ein Auge tränt von einem Zweig, der es ungeschützt traf. Ich wollt der Erde gern einmal entrinnen und dann zu neuem Anfang wiederkehren. Das Schicksal möge mich nicht missverstehn, nur halb erhören und für immer schnappen. Die Erde ist der Liebe wahrer Ort: Ich wüsste nicht, wo man es besser fände. Ich ginge gern von hier, nach oben kletternd auf schwarzen Ästen am schneeweißen Stamm gen Himmel, bis der Baum mich nicht mehr trägt, der Wipfel neigt und mich zu Boden setzt. Wie gut: Zu gehen und zurückzukehren. Man könnte Schlimmeres sein als Birkenschaukler. Robert Frost aus: Robert Frost, "Promises to keep: Poems / Gedichte", C.H.Beck, 2011, München
When a friend calls to me from the road And slows his horse to a meaning walk, I don't stand still and look around On all the hills I haven't hoed, And shout from where I am, "What is it?" No, not as there is a time to talk. I thrust my hoe in the mellow ground, Blade-end up and five feet tall, And plod: I go up to the stone wall For a friendly visit.
Zeit zum Reden
Wenn mich ein Freund ruft von der Straße her
und seinen Gaul vielsagend halten lässt,
dann stell ich mich nicht hin und schau
auf all die nicht gehackten Hügel
und ruft von wo ich bin: Was gibt's?
Nein, nicht wenn Zeit zum Reden ist.
Ich stoß die Hacke in den weichen Grund,
das Blatt nach oben, fünf Fuß lang,
und trotte los: Ich geh zum Steinwall
auf freundlichen Besuch.
Robert Frost
aus: Robert Frost, "Promises to keep: Poems / Gedichte", C.H.Beck Verlag, 2011, München
I wonder about the trees. Why do we wish to bear Forever the noise of these More than another noise So close to our dwelling place? We suffer them by the day Till we lose all measure of pace, And fixity in our joys, And acquire a listening air. They are that that talks of going But never gets away; And that talks no less for knowing, As it grows wiser and older, That now it means to stay. My feet tug at the floor And my head sways to my shoulder Sometimes when I watch trees sway, From the window or the door. I shall set forth for somewhere, I shall make the reckless choice Some day when they are in voice And tossing so as to scare The white clouds over them on. I shall have less to say, But I shall be gone.
Das Geräusch der Bäume
Ich staune über die Bäume.
Warum ertragen wir so gern
ihr Rauschen immerfort
vor allem andern Lärm
so nah bei unserm Heim?
Wir dulden sie am Tag,
bis unser Schritt das Maß verliert
und unser Glück Beständigkeit
und wir zu Horchern werden.
Sie reden zwar vom Fortgehn,
doch gehn sie niemals fort;
sie hören nicht auf zu reden,
selbst alt und weise nicht,
obwohl sie wissen, dass sie bleiben.
Am Boden zerren meine Füße,
mein Kopf neigt sich zur Schulter,
wenn ich das Wiegen der Bäume seh
aus Fenster oder Tür.
Ich will nach irgendwo,
ich will mich kühn entscheiden,
wenn sie mal gut bei Stimme sind
und so sich schütteln, dass
den Wolken angst und bange wird.
Ich hab dann weniger zu sagen,
doch ich bin fort.
Robert Frost
aus: Robert Frost, "Promises to keep: Poems / Gedichte", C.H. Beck, 2011, München
ai demandé aux mots
toutes
voiles fermées
de prendre le poids de l’oiseau
en plein
vol
de rendre rapport d’écriture
et de déraison
de
mélodie d’extravagance
Même
en me trompant de parcours
mêlant la longue syncope des
arcs-en-ciel
aux phrases séquestrées des réverbères
je
n’ai toujours eu qu’un seul galop
la phrase mutilée
l’ordre
des vertébrés
Celui
qui crie trop fort
n’entend pas l’orage déchiré de ta
bouche
dans ma vie qui se défait et se refait
comme une
chevelure
Celui
qui ne crie pas assez
n’entend pas la voix du silence
c’est
à mourir de rire !
les hommes n’ont plus de couilles
mais
des légendes
des blessures miaulantes
J’ai
remis vois-tu
mon vêtement de marginalité
Je vais encore
dans le sens des miroirs
Le temps que j’habite n’a pas de
portes.
Mein
Brief, den die Ellipse trägt
habe die Worte gebeten
bei
hängenden Segeln
das Gewicht der Vögel anzunehmen
im
Sturzflug
vom Schreiben zu erzählen
und der Unvernunft
von
Unerhörtem
Auch
wenn ich mich in meiner Gangart täuschte
die lange Synkope des
Regenbogens mischte mit
unter den Laternen eingefangenen
Sätzen, hatte
ich doch immer nur diese Gangart
den
verstümmelten Satz
die Ordnung der Wirbelsäule
Wer
zu laut schreit
hört das aus deinem Mund gerissene Gewitter
nicht
in meinem wie Haar, das sich zerzaust
und wieder
stillgelegten Leben
Wer
zu wenig schreit
hört nicht wie das Schweigen spricht
zum
Totlachen!
diese Menschen ohne Trieb
nichts als Legenden
und
Katzenjammer aus Blessuren
Schau,
ich hab sie wieder angelegt
meine Marginalität
Ich gehe
auf den Spiegel zu. Keine Türen
kennt die Zeit, die ich
behause.
Du
hast es nur noch nicht probiert, und darum glaubst du's nicht!
Gleich
kommt der Staatsmann vorbei im Diplomatenkonvoi,
die
Polizeieskorte rollt langsam heran.
Du hebst gebietend die Hand,
und die Eskorte hält an.
Du nimmst den Staatsmann mal ganz
herzlich in den Arm.
Und sagst ihm ins Gesicht, was dir gefallt
und was nicht
und welchen Wunsch du offen hast.
Und er
bedankt sich auch ganz lieb und sagt: "Das war'n guterTip!
Sei'n
Sie heut Abend mein Gast!"
Du
hast es nur noch nicht probiert, und darum glaubst du's nicht!
Im
Kino kommt heut ein Film mit dieser Schauspielerin,
bei der dein
Herz so klopft, daß sich die Jacke beult.
Sie sitzt vorm
Spiegel betrübt und fragt: Ob einer mich liebt?
Das halbe Kino
schluckt. Das halbe Kino heult.
Da stehst du auf und rufst:
"Ich!" Und alle starren auf dich,
doch sie springt aus
der Leinwand raus.
Ein leerer Fleck bleibt im Bild. Ihr zwei
umarmt euch wie wild,
dann geht ihr glücklich nach Haus.
Du
hast es nur noch nicht probiert, und darum glaubst du's nicht!
Du
gibst dich so stinknormal. Es ist dir selbst eine Qual.
Doch
eines Tages fällst du auf im Einerlei.
Da explodiert dein
Gefühl, du tanzt im Menschengewühl.
Du bist ein Tango, ein
Vulkan, ein Jubelschrei.
Die Leute rings um dich her erstarren
und atmen nicht mehr.
Die Zigaretten gehen aus.
Es
schweigen Autos und Bahn, dein Tanz hält Flugzeuge an,
und
endlich donnert Applaus.
Du
hast es nur noch nicht probiert, und darum glaubst du's nicht!
Mensch,
du bist hart wie ein Stein, wie zärtlich könntest du sein,
und
die gefrornen Blicke taun wie nichts dahin.
Mensch, du bist
stumm wie ein Fisch, und alles wartet auf dich.
In dir steckt
doch noch so viel Ungeahntes drin!
In dir schläft Tanz und
Gesang, und was noch keinem gelang,
das packst vielleicht gerade
du. In dir schläft Mut, Phantasie,
na, und vielleicht ein
Genie. Na, los, nun trau dir's doch zu!
Gerhard
Schöne, CD 2 (1988) "Du hast es nur noch nicht probiert",
Titel 11
Die Menschen dort am Strand sehn alle in eine Richtung. Dem Lande abgewandt sehn sie den ganzen Tag aufs Meer. Ein Schiff passiert: So lange geht auf und ab sein Rumpf; der nasse Boden spiegelt eine Möwe, die da steht. An Land mag mehr geschehn; doch wo die Wahrheit auch liegt: Das Wasser kommt ans Ufer und Menschen sehn aufs Meer. Weit können sie nicht sehn. Tief können sie nicht sehn. Wann war das je ein Grund, nicht doch Ausschau zu halten? Robert Frost aus: Robert Frost, "Promises to keep: Poems / Gedichte", C.H.Beck Verlag, 2011, München
Das
Saxophon klingt müde , ich glaub, wir
machen Schluß, Wir packen ein und
fahren in's Hotel. Wir sitzen
vielleicht unten noch'n bißchen im
Foyer und trinken noch ein Bier,
eventuell.
Das Mädchen mit den
klaren Augen hat grad im Schlaf
geseufzt. Sie spricht mit Herbert,
ihrem Apfelbaum: "Du kannst nich mit nach Afrika! Das ist zu heiß
für dich! Und wenn du ganz toll
Sehnsucht hast, dann rufst du mich im
Traum".
Es ist Zeit, Zeit,
Zeit, es ist Zeit, Zeit, Zeit, es
ist Zeit, Zeit, Zeit heimzugeh'n! Es
ist Zeit, Zeit, Zeit...
Der Ringo
geht schon wieder ganz cool über's
Parkett, wiel er 'ne akzeptable
Kirsche sah. Die Mutti schläft vorm
Testbild. Der Papa macht sie
wach: "Du dein Herr Sohn ist
immer noch nicht da!"
In so
'ner Scheiß-Kaserne sitzt grad mein
lieber Feind und hört im Radio das
Lied von mir. Da denkt er : "Mensch,
so isses! Verdammt, der Feind hat
recht! " Schmeißt's Koppel in
die Ecke und sagt zum Offizier :
Du,
es ist Zeit, Zeit, Zeit,
es
ist Zeit, Zeit, Zeit, es ist Zeit, Zeit, Zeit heimzugeh'n! Es
ist Zeit, Zeit, Zeit...
Im
Altersheim die Neue sitzt
stumm an ihrem Platz. Sie
hat vom Abendbrot nicht's angerührt. wenn
sich das nicht bald gibt, und
sie auch Morgen noch nichts ißt, dann
wird sie der Frau Doktor vorgeführt.
Die
Platzanweiser gähnen und
schielen nach der Uhr. Die
Kassenfrau legt schon die Gage raus, der
Feuerwehrmann fragte mich, wie
lange das noch geht. Sein
Hund hat nämlich Husten und
wartet schon zu Haus.
Ach,
es ist Zeit, Zeit, Zeit,
es
ist Zeit, Zeit, Zeit, es ist Zeit, Zeit, Zeit heimzugeh'n! Es
ist Zeit, Zeit, Zeit...
Das ist das erste Mal, dass ich hier einmal Werbung publiziere - aber aus absolut gutem Grund: Survival International kämpft seit 1969 für die Rechte Indigener, unter anderem auch für das Recht, unkontaktiert zu bleiben und auch für jenes, in einem zum Nationalpark erklärten Gebiet weiterhin leben zu dürfen. Dieser Kampf ist beileibe kein kleiner mehr, da die Landrechte indigener Völker durch Abholzung, Wilderei und staatliche Repressionen akut bedroht sind. Survival International arbeitet ausschließlich mit Spendengeldern und ist die weltweit einzige Organisation, die nur für die Rechte Indigener kämpft. Weitere Infos gibt es hier: http://www.survivalinternational.de/
Aujourd'hui, c'est la toute première fois que j'y publie de la publicité - et pour cause: Depuis 1969, Survival International se bat pour les droits des Indigènes, dont aussi pour le droit de rester non-contacté-e-s et pour le celui-ci de continuer à vivre dans un territoire déclaré comme parc national. Cette lutte-là n'est surtout plus une petite car les droits d'utilisation du sol par les peuples indigènes sont fortement menacés par le déboisement, le braconnage et les représailles nationales. Survival International se finance exclusivement des dons caricatifs et elle est la seule organisation dans le monde entier qui ne se bat que pour les droits des Indigènes. Plus d'infos: http://www.survivalinternational.fr/
Ich
möchte leben wie Franzosen Auto fahren
eine Delle macht nichts
aus
und wenn die Kreuzung voll ist
fährt man trotzdem
drauf
kann sein, dass man im Weg steht
wenn man nicht auf
dem Gehweg geht
tut mir auch nicht leid
tut mir auch nicht
leid
Auch Sommersprossen sind Gesichtspunkte
hab ich
irgendwo gelesen
und selbst die verschwinden mit zu wenig
Sonne
gerade so als wäre nichts gewesen
Ich
möchte leben wie Franzosen Auto fahren
egal wo man parkt
und
eine rote Ampel ist immer nur ein Vorschlag
kann sein, dass man
sich weh tut
wenn man den falschen Typen anhupt
tut mir
auch nicht leid
tut mir auch nicht leid
Unsere
Blicke sind so eingefahren,
dass unsere Augen Spurrillen
haben
und immer auf dieselbe Stelle blicken
sich immer die
gleichen
Dinge aus den Dingen picken
Ich
möchte leben wie Franzosen Auto fahren
mal rechts, mal links,
mal rückwärts
vom jetzigen Standpunkt aus
geht es immer
nur vorwärts
kann sein, dass mal was schief geht
wenn man
nicht den geraden Weg wählt
tut mir auch nicht leid
tut
mir auch nicht leid
nein, nein, nein
Es
gibt nicht viel zu entscheiden
letzten Endes nur zu gehen oder
zu bleiben
und der der geht ist langsamer als der der
bleibt
weil er viel später
seinen Ruhepunkt erreicht
Ich
möchte leben wie Franzosen Auto fahren
eine Delle macht nichts
aus
und wenn die Kreuzung voll ist
fährt man trotzdem
drauf
kann sein, dass man im Weg steht
wenn man nicht den
geraden Weg wählt
tut mir auch nicht leid
tut mir auch
nicht leid
nein. nein. nein
Ich
verrichtete die alltäglichen Dinge,
als wäre das alles, was
ich zu tun habe.
Einatmen, Ausatmen, Schritt für Schritt,
Pflichten,
aber ohne einen Gedanken, der weiter reichte
als
zum Verlassen des Hauses und zur Rückkehr,
Die Welt hätte
als verrückte Welt wahrgenommen werden können,
aber ich nahm
sie nur für den täglichen Bedarf.
Weder »wie« noch
»warum«,
woher sie eigentlich kommt
und wozu sie so viele
lebhafte Details braucht.
Ich war wie ein zu flach in die
Wand geschlagener Nagel
oder
(hier ein Vergleich, der mir
fehlte).
Eine Veränderung nach der anderen vollzog sich
selbst im beschränkten Feld eines Augenblicks.
Am
jüngeren Tisch, mit der um einen Tag jüngeren Hand,
wurde das
gestrige Brot anders geschnitten.
Die Wolken wie nie und
der Regen wie nie,
fiel er doch in anderen Tropfen.
Die
Erde drehte sich um ihre Achse,
aber in einem jetzt für immer
verlassenen Raum.
Das dauerte gut vierundzwanzig Stunden.
1440 Minuten Gelegenheit.
86 400 Sekunden zur
Einsicht.
Das kosmische Savoir-vivre
wenn
es auch über uns schweigt,
so verlangt es doch etwas von
uns:
ein wenig Aufmerksamkeit, ein paar Sätze Pascal
und
unsere verwunderte Teilnahme an diesem Spiel
mit unbekannten
Regeln.
Wisława Szymborska
Aus
dem Polnischen von Renate Schmidgall.
Aus: Glückliche Liebe
und andere Gedichte. Berlin: Suhrkamp Verlag 2012.
Stell
dir vor, was ich geträumt habe. Scheinbar alles genau wie bei
uns.
Boden unter den Füßen, Wasser, Feuer, Luft,
Vertikale,
Horizontale, Dreieck, Kreis,
linke und rechte Seite.
Das
Wetter erträglich, die Landschaft nicht schlecht
und eine Menge
mit Sprache begabter Wesen.
Doch ihre Sprache anders als auf der
Erde.
In den Sätzen herrscht die Wirklichkeitsform.
Die
Namen decken sich exakt mit den Dingen.
Nichts hinzuzufügen,
nichts wegzunehmen, zu ändern oder umzustellen.
Die Zeit
ist immer die auf der Uhr.
Vergangenheit und Zukunft haben
engen Spielraum.
Für Erinnerungen eine einzige vergangene
Sekunde,
für Vorhersagen eine zweite,
die soeben
beginnt.
Worte - nur die nötigsten. Nie eins zuviel,
und
das bedeutet - keine Poesie,
keine Philosophie und keine
Religion.
Solcher Unfug kommt dort nicht in Frage.
Nichts,
was man sich nur vorstellen
oder mit geschlossenen Augen sehen
kann.
Wenn man sucht, dann das, was auf der Hand
liegt.
Wenn man fragt, dann danach, worauf es eine Antwort
gibt.
Sie würden sich sehr wundern,
wenn sie sich wundern
könnten,
daß es irgendwo Gründe zum Wundern gibt.
Das
Stichwort »Unruhe« gilt bei ihnen als obszön,
es hätte
nicht den Mut, sich im Wörterbuch zu finden.
Die Welt
erscheint klar
selbst bei tiefster Dunkelheit.
Sie
wird jedem gewährt, zu erschwinglichem Preis.
Niemand verlangt
an der Kasse den Rest.
Aus Gefühlen: Befriedigung. Und
nichts in Klammern.
Leben mit einem Punkt am Ende. Und das
Dröhnen der Galaxien,
Gib zu, etwas Schlimmeres
kann
dem Dichter nicht passieren.
Und dann nichts Besseres
als
schnell aufzuwachen.
Wisława Szymborska
Aus
dem Polnischen von Renate Schmidgall.
Aus: Glückliche Liebe
und andere Gedichte. Berlin: Suhrkamp Verlag 2012.
Angeblich
las er zur Entspannung Romane.
Doch er stellte Ansprüche:
Sie
durften nicht traurig enden.
Wenn er auf einen traurigen
stieß,
warf er ihn wütend ins Feuer.
Ob’s stimmt
oder nicht –
ich glaub es gern.
Sein Geist durchmaß
so viele Gebiete und Zeiten,
er sah sich so viele ausgestorbene
Gattungen an,
Triumphe der Stärkeren über die Schwächeren,
so
viele Überlebensversuche,
früher oder später vergeblich,
daß
er sich zumindest von der Fiktion
und ihrer Mikroskala
mit
Recht ein Happy-End erhoffte.
Also unbedingt: ein
Lichtstrahl hinter den Wolken,
die Geliebten wieder vereint, die
Familien versöhnt,
die Zweifel zerstreut, die Treue
belohnt,
das Vermögen zurückgewonnen, die Schätze
ausgegraben,
die Nachbarn zerknirscht über ihre Sturheit,
der
gute Name wiederhergestellt, die Habgier beschämt,
die alten
Jungfern an ehrbare Pastoren vergeben,
die Intriganten auf die
andere Halbkugel verbannt,
die Dokumentenfälscher von der
Treppe gestoßen,
die Mädchenverführer auf dem Weg zum
Altar,
die Waisen in Obhut, die Witwen beruhigt,
der
Hochmut ganz klein, die Wunden verheilt,
die verlorenen Söhne
an den Tisch gebeten,
der bittere Kelch ins Meer geleert,
die
Taschentücher naß von Freudentränen,
allgemeines Singen und
Musizieren,
und das Hündchen Fido,
schon im ersten Kapitel
verschwunden –
möge es wieder durchs Haus laufen
und
fröhlich bellen.
Wisława Szymborska
Aus
dem Polnischen von Renate Schmidgall.
Aus: Glückliche Liebe
und andere Gedichte. Berlin: Suhrkamp Verlag 2012.
beginnen
Regenwolken aufzuziehen.
Die Sicht wird schlecht sein.
Die
Straßen glatt.
Allmählich, im Laufe des Tages,
unter
dem Einfluß eines Hochs von Norden
sind örtlich Aufheiterungen
möglich.
Doch bei starken und wechselhaften Windstößen
kann
es Gewitter geben.
In der Nacht
klart es fast im
ganzen Land auf,
nur im Südwesten
sind Niederschläge
nicht auszuschließen.
Die Temperatur wird merklich
fallen,
dafür steigt der Luftdruck.
Der nächste
Tag
verspricht sonnig zu werden,
obwohl jene, die
leben,
noch einen Regenschirm brauchen.
Das Nichts hat sich auch mir genichtet.
Es wendete sich tatsächlich auf die andere Seite.
Wo bin ich nur hingeraten,
Kopf und Fuß in Planeten,
unbegreiflich, ich hätte einmal nicht da sein können. O du mein hier Getroffener, Liebgewonnener hier,
ich ahne, die Hand auf deiner Schulter, nur,
wieviel Leere uns auf der anderen Seite zukommt,
wieviel dort Stille fällt auf eine Grille hier,
wieviel dort Wiese fehlt dem Sauerampferblatt hier,
die Sonne aber ist nach dem Dunkel wie Schadenersatz
im Tropfen Tau – für die wie tiefen Dürren dort! Gestirnt aufs Geratewohl! Die Hiesigen umgekehrt!
Weitgestreckt über Schrägen, Schwere, Rauheit, Bewegung!
Ein Spalt im Unendlichen für den grenzenlosen Himmel!
Erleichterung nach dem Nichtraum in Form einer schwankenden Birke! Jetzt oder nie bewegt der Wind eine Wolke,
denn Wind ist eben das, was dort nicht weht.
Und der Käfer betritt den Pfad im dunklen Anzug des Zeugen.
Für den Fall des langen Wartens aufs kurze Leben. Für mich hat sich’s so ergeben, daß ich bei dir bin.
Und wirklich, ich sehe darin nichts
Gewöhnliches.