Nachts, Wolkengebäuden entlang, und eine letzte Terrasse aus Mondlicht, der Traum verbotener Reisen, ein Tor, für immer verschlossen, nun halb offen, die Gefahr eines anderen Lebens, ein Gedicht von einem verkehrten Dasein, wo der Tod keine Sense hat, ein Freier auf goldenen Hufen, der deine Brüste streichelt und den Teppich der Sterne ausrollt für dich, um zu schlafen, Licht überall, bis auf die Zähne des Raubtiers, auf die Nägel des Mörders und das glänzende Messer, das das letzte Wort schreibt, Feuer, und dann mit deinen Augen von niemand sehen ohne jemals ein Ende, sehen, wer du warst. Cees Nooteboom aus: Cees Nooteboom, Licht überall, Suhrkamp Verlag, 2013, Berlin
Ich
weiß nicht, ob ich Katzen mag. Hunde sind mir lieber. Hunde
lügen nicht so gerne. Aber schön ist es, mit Katzen im Bett zu
schlafen, irgendwo in der Nähe der Füße, dort, wo die
Zehen vorsichtig in eine nächtliche Welt Ausschau halten wie
Mauerwächter einer sehr alten Stadt, der Stadt des Schlafs auf
der Hochebene der Dunkelheit - die Katze also, nicht allzu
nah, doch in einer Art Einverständnis mit den Zehen, diesen
zehn Wächtern gegen Dunkelheit, Chaos, Nichts und gegen den
Lärm eines fernen Zuges. Und der Schlaf der Katze ruft in
mir einen tieferen Schlaf hervor, ihre Art, sich wie ein Fötus
einzurollen um ihren eigenen Mittelpunkt, gibt mir ein Gefühl
der Vertrautheit, ein Heimatgefühl, so als wäre diese
Welt ein gänzlich natürlicher Aufenthalt.
Der anständige Österreicher, der tritt nicht in Deutschland auf. Der bleibt eher zu Hause, im eigenen Land, und genießt all das, was uns Gott gegeben ... und der Vertrag von Versailles gelassen hat. - Lisa Eckhart mal wieder auf gewohnt hohem Niveau!
Sonntag, 18. Juni 2017
Der Fluß lobsingt die Sterne im Gebüsch! Geruch von Pfefferminz und Thymian! Ein kleiner Wind macht unsre Stirnen frisch So hat es Gott uns Kindern angetan Das Gras ist weich: das Weib ohn Bitternis Die schönen Weiden machen alles froh: Heut ist die Lust den Willigen gewiß: Es ist zum Nimmerwiederfortgehen so. Bertolt Brecht aus: Bertolt Brecht, Gedichte über die Liebe, Bibliothek Suhrkamp, 2004, Berlin
Hörst du wie die Brunnen rauschen, Hörst du wie die Grille zirpt? Stille, stille, laß uns lauschen, Selig, wer in Träumen stirbt. Selig, wen die Wolken wiegen, Wem der Mond ein Schlaflied singt, O wie selig kann der fliegen, Dem der Traum den Flügel schwingt, Daß an blauer Himmelsdecke Sterne er wie Blumen pflückt: Schlafe, träume, flieg', ich wecke Bald dich auf und bin beglückt. Clemens Brentano aus: Blaue Gedichte, Reclam, 2006, Stuttgart
Sie arbeitete in Guerrero, ein paar Straßen weiter von Juliáns Wohnung, sie war siebzehn und hatte ein Kind verloren. Sie musste weinen, wenn sie sich erinnerte, da, im Zimmer, im Hotel Trebol, geräumig, dunkel, mit Bidet und Klo, der ideale Platz, um ein paar Jahre auszuhalten. Der ideale Platz zum Schreiben, Memoiren, apokryphe, oder einen Kranz Horrorgedichte. Lupe war schlank und hatte lange Beine, gefleckt wie bei den Leoparden. Beim ersten Mal bekam ich nicht mal eine Erektion: Hatte ich auch nicht erwartet. Lupe erzählte von ihrem Leben und von dem, was für sie das Glück war. Nach einer Woche sahen wir uns wieder. Ich traf sie an einer Straßenecke mit den anderen Kindernutten, sie lehnte an den Kotflügel eines alten Cadillacs. Ich glaube, wir freuten uns über das Wiedersehen. Von da an begann mir Lupe, Dinge aus ihrem Leben zu erzählen, mal unter Tränen, mal beim Vögeln, fast immer nackt im Bett, den Blick geheftet an die Zimmerdecke, Hand in Hand mit mir. Ihr Sohn kam krank zur Welt, und Lupe versprach der Jungfrau, sie werde das Gewerbe an den Nagel hängen, wenn ihr Baby nur gesund blieb. Ein, zwei Monate hielt sie ihr Gelöbnis, dann musste sie weitermachen. Dann starb ihr Sohn, und Lupe sagte, schuld daran sein sie, sie hätte ihr Versprechen nicht gehalten. Die Jungfrau holte sie das Engelchen wegen eines nicht gehaltenen Versprechens. Mir fiel dazu nichts ein. Sicher, Kinder mochte ich, aber noch sollte es dauern, bis ich wusste, was es heißt, ein Kind zu haben. Und so schwieg ich, dachte daran, wie merkwürdig das war, die Stille in jenem Hotel. Entweder waren die Mauern reichlich dick oder wir die einzigen Gäste oder die übrigen machten nicht einmal den Mund auf, wenn sie stöhnten. Es war so einfach, Lupe zu etwas zu bringen und sich wie ein Mann zu fühlen, wie ein Haufen Elend. Es war so einfach, sich an ihren Rhythmus anzupassen und ihr dabei zuzuhören wie sie die Horrorfilme nacherzählte, die sie gesehen hatte, im Kino der Calle Bucareli. Ihre Leopardenbeine knoteten sich um meine Hüfte und sie verbarg den Kopf an meiner Brust und suchte nach den Brustwarzen oder dem Schlag des Herzens. Da will ich dir einen blasen, sagte sie eines Nachts. Häh, Lupe? Am Herzen. Roberto Bolano aus: Roberto Bolano, Die romantischen Hunde, Carl Hanser Verlag, 2017, München
durchs Fenster sieht man schon silbrig glänzend den sibirischen Fluss des anbrechenden Morgens. Dein Herz schlägt in meiner Hand, unsere Herzen schlagen in unseren Händen, alle Herzen schlagen in allen Händen. Bald wird die Sonne aufgegangen sein. Mathias Énard aus: Mathias Énard, Der Alkohol und die Wehmut, Matthes und Seitz, 2016, Berlin
..., der Reisebericht endete mit den Worten: "Buchseiten sind Blütenblätter, die vom grünen Käfer des Vergessens angenagt werden."
Ich klappte das kleine Bändchen langsam zu, schaute meinen Stift an und meine luxuriösen, hoffnungslos leeren Notizhefte, mein Glas, meine Flasche, meine Regale, die verdreckte Wohnung, das sich türmende Geschirr, und ich dachte, es gibt nicht viele Dinge, die wirklich wichtig sind im Leben, weder die Werke, die man schreibt, noch die Bücher, die man liest, und auch nicht das Schicksal, das alles wird letztlich von einem winzigen Tierchen zernagt wie eine zerbrechliche Blume, es war traurig, traurig und fröhlich zugleich, ...
Mathias Énard
aus: Mathias Énard, Der Alkohol und die Wehmut, Matthes und Seitz, 2016, Berlin
Man kann nur nach vorn schauen. Wir sind Züge, die sich auf einer Einbahnstrecke kreuzten, im Volldampfrussland, im versengenden und kalten Moskau, im geheimnisvollen Ural, und wurden fortgetragen von endlosen Flüssen. Wir sind uns verloren gegangen. Mathias Énard aus: Mathias Énard, Der Alkohol und die Wehmut, Matthes und Seitz, 2016, Berlin
Am Ende fressen die Städte uns doch nicht. Sie schlingen uns nicht in ihre Gedärme hinunter wie Jonas, lassen uns nicht im Zwielicht endloser unterirdischer Netze verschwinden, sondern sie verwandeln uns; sie bewohnen uns, nicht wir sie, sie verändern unseren Gang, geben unseren Schritten den Rhythmus vor, lenken unsere Aussprache und unsere intimsten Gewohnheiten. Man ist wohl nur auf dem Land wirklich man selbst, zwischen Kühen oder in einer Klosterzelle beziehungsweise dem Abteil eines Zugs zwischen zwei Bahnhöfen, die Augen von Schneeflocken besänftigt, ... Mathias Énard aus: Mathias Énard, Der Alkohol und die Wehmut, Matthes und Seitz, 2016, Berlin
Du wirst aufwachen und wir werden uns auf eine lange Reise machen, diesmal werden wir bis zum Baikalsee, bis zum Stillen Ozean gelangen, im Winter, wenn alles gleich aussieht und ruhig ist; bis zum Baikalsee, hörst du? Bis zum stillen Ozean! Ich werde an dich geschmiegt daliegen, in einem Abteil, das die Nacht teilt und das unermessliche, unter den Sternen graue Schneebett. Du hast noch Züge zu nehmen und Hände zu halten! Brich nicht ohne mich auf, bitte! Mathias Énard aus: Mathias Énard, Der Alkohol und die Wehmut, Matthes und Seitz, 2016, Berlin
Wir Gleichgepolten, du und ich, haben einander angesichts dieser Kompassnadel abgestoßen. Ich bin abgereist, weil Jeanne mich gebeten hatte abzureisen, und du? Es gibt keine Unfälle. Du hast dich Stück für Stück von der Nacht auffressen lassen. Wie ich. Mathias Énard aus: Mathias Énard, Der Alkohol und die Wehmut, Matthes und Seitz, 2016, Berlin
[...], die Dinge gehen vorüber, nur vier Jahre sind vergangen und ich habe den Eindruck, seitdem tausend Leben gelebt und alle Züge dazu gebracht zu haben, mir bis ans Ende der Welt hinterherzurollen. Mathias Énard aus: Mathias Énard, "Der Alkohol und die Wehmut", Matthes und Seitz, 2016, Berlin
Wolodja, man vererbt keine Liebe, indem man weggeht, man nimmt sie mit sich. Mathias Énard aus: Mathias Énard, Der Alkohol und die Wehmut, Matthes und Seitz, 2016, Berlin
Wie du weißt, heißt fliehen siehen. Indem man flieht,
behält man die Liebe und erschafft sich eine Erinnerung.
Man opfert alles für die Liebe und alles, was man
opfern kann, ist die Liebe. Bleibt man, opfert man
die Flucht und erschafft sich eine Sehnsucht.
Beides erfordert Mut.
Stig Claesson
aus: Fredrik Sjöberg, Die Kunst zu fliehen, Galiani, 2012, Berlin