Geh, Gedanke, solang ein zum Flug klares Wort dein Flügel ist, dich aufhebt und dorthin geht, wo die leichten Metalle sich wiegen, wo die Luft schneidend ist in einem neuen Verstand, wo Waffen sprechen von einziger Art. Verficht uns dort! Die Woge trug ein Treibholz hoch und sinkt. Das Fieber riß dich an sich, läßt dich fallen. Der Glaube hat nur einen Berg versetzt. Laß stehn, was steht, geh, Gedanke!, von nichts andrem als unsrem Schmerz durchdrungen. Entsprich uns ganz! Ingeborg Bachmann aus: Ingeborg Bachmann, Sämtliche Gedichte, Piper Verlag, 2008, München
Je
songe aux jouets de mes cinq ans. Une fois miens, ils furent les
maîtres. Je croyais pouvoir, avant qu'on me les offrît, les manier
à ma fantaisie. Je m'aperçus très vite que je pouvais les détruire
au gré de mon humeur ; mais si je les voulais vivants, que je
devrais respecter leur mécanisme, leur âme immortelle.
Ainsi
le langage.
Edmond
JABÈS,
Extrait de: Edmond Jabès,Marche à vif jusqu'à l'homme, NRF Poésie-Gallimard.
Mein Lieb mach sacht die Augen zu wie etwas weich ins Wasser gleitet so leicht und rein fall du in Schlaf ein süßer Traum ist dir bereitet schlummre du... Mein Lieb mach sacht die Augen zu sei ganz bei mir laß dich in Ruh schlummre du laß mich im Schlaf ganz bei dir sein schlummre du... Mein Lieb mach sacht die Augen grüngelbbraungoldne Äugelein schlummre mein Liebes schlummre ein
* * *
Du hoch oben zwischen mit Früchten behangenen Zweigen, die grünen Augen voll Sonne, die Lippen honigbeschmiert. Ich hier unten, am Baumstamm, einen Fuß in der Grube... Lange vor dir muß ich fort, im Alter bist du allein. Nâzim Hikmet aus: Nâzim Hikmet, Die Namen der Sehnsucht, Ammann Verlag, 2008, Zürich
Wie gern hab ich dein Schweigen und dass du dich verbirgst, lass mich sprechen mit deinem Schweigen, das so hell ist wie eine Lampe und wie ein Ring so einfach. Du bist verschwiegen wie die Nacht und so klar wie der Himmel die Stille vom Stern und so unbefangen. Wie gern hab ich dein Schweigen, so entfernt, wie mit dem Tod vereint. Doch dann ein Wort, ein Lächeln genügen mir zur Freude. Pablo Neruda aus: Christine Knödler (Hrsg.), Warum ist Rosa kein Wind?, Ravensburger, 2014, Ravensburg
Jetzt schließen wir die Augen, wir alle. Dann greift jeder nach seinem toten Winkel und legt ihn zu den anderen, auf den vorherbestimmten Platz. Orsolya Kalász aus: Orsolya Kalász, Das Eine, Brüterich Press, 2016, Berlin
Or
does the land lean down to lift the sea from under,
drwaing
it unperturbed around itself?
Along
the fine tan sandy shelf
is
the land tugging at the sea from under?
The
shadow of Newfoundland lies flat and still.
Labrador's
yellow, where the moony Eskimo
has
oiled it. We can stroke these lovely bays,
under
a glass as if they were expected to blossom,
or
as if to provide a clean cage for invisible fish.
The
names of seashore towns run out to sea,
the
names of cities cross the neighboring mountains
-
the printer here experiencing the same excitement
as
when emotion too far exceeds its cause.
Theese
peninsulas take the water between thumb and finger
like
women feeling for the smoothness of yard-goods.
Mapped
waters are more quiet than the land is,
lending
the land their waves' own conformation:
and
Norway's hare runs south in agitation,
profiles
investigate the sea, where land land is.
Are
they assigned, or can the countries pick their colors?
-
What suits the character of the native waters best.
Topography
displays no favorites; North's as near as West.
More
delicate than the historians' are the map-makers' colors.
Elizabeth
Bishop
from:
Elizabeth Bishop, The Complete Poems, American Book - Stratford
Press, 1969, New Jersey
Sonntag, 16. Juli 2017
In mir ist seit einiger Zeit wieder eine große Sehnsucht nach dem Positiven, ohne Anführungszeichen, nach dem, was bleibt. Christa Wolf aus: C. Wolf / F. Fühmann, Monsieur - wir finden uns wieder. Briefe 1968 - 1984, Aufbau Verlag, 1995, Berlin
"Traurig" - ist nur eine von vielen Folgen der Deutung. Was wir heute verkörpern, könnte morgen schon die Straßenseite wechseln, sobald es uns kommen sieht. Orsolya Kalász aus: Orsolya Kalász, Das Eine, Brüterich Press, 2016, Berlin
Male zuerst einen Käfig mit einer offenen Tür dann male irgendetwas Hübsches irgendetwas Einfaches irgendetwas Schönes irgendetwas Nützliches was nun den Vogel angeht so lehne die Leinwand an einen Baum in einem Garten in einem Wäldchen verbirg dich hinter dem Baum ohne zu sprechen ohne dich zu rühren... Bisweilen kommt der Vogel bald aber er kann ebenso gut viele Jahre brauchen bis er sich dazu entschließt Verlier nicht den Mut warte warte wenn's sein muss jahrelang denn der rasche oder langsame Anflug des Vogels hat nichts zu tun mit dem Gelingen des Bildes Wenn der Vogel kommt falls er kommt so sei ganz still warte bis der Vogel in den Käfig schlüpft und wenn er hineingeschlüpft ist schließe mit dem Pinsel leise die Tür dann tilge nacheinander alle Gitterstäbe aus wobei du keine einzige Feder des Vogels berühren darfst Sodann male den Baum und wähle den schönsten seiner Äste für den Vogel male auch das grüne Laub und den frischen Wind den Sonnenstaub und das Gesumm der Grastiere in der Sommerglut und dann warte ob der Vogel sich entschließt zu singen Wenn der Vogel nicht singt so ist ein schlechtes Zeichen Ein Zeichen dass das Bild schlecht ist Aber wenn er singt ist es ein gutes Zeichen ein Zeichen dass du das Bild mit deinem Namen zeichnen darfst dann zupfst du ganz sacht eine Feder aus dem Vogelgefieder und schreibst in eine Ecke des Bildes deinen Namen nieder.
Peindre
d'abord une cage
avec
une porte ouverte
peindre
ensuite
quelque
chose de joli
quelque
chose de simple
quelque
chose de beau
quelque
chose d'utile
pour
l'oiseau
placer
ensuite la toile contre un arbre
dans
un jardin
dans
un bois
ou
dans une forêt
se
cacher derrière l'arbre
sans
rien dire
sans
bouger...
Parfois
l'oiseau arrive vite
mais
il peut aussi mettre de longues années
avant
de se décider
Ne
pas se décourager
attendre
attendre
s'il le faut pendant des années
la
vitesse ou la lenteur de l'arrivée de l'oiseau
n'ayant
aucun rapport
avec
la réussite du tableau
Quand
l'oiseau arrive
s'il
arrive
observer
le plus profond silence
attendre
que l'oiseau entre dans la cage
et
quand il est entré
fermer
doucement la porte avec le pinceau
puis
effacer
un à un tous les barreaux
en
ayant soin de ne toucher aucune des plumes de l'oiseau
Faire
ensuite le portrait de l'arbre
en
choisissant la plus belle de ses branches
pour
l'oiseau
peindre
aussi le vert feuillage et la fraîcheur du vent
la
poussière du soleil
et
le bruit des bêtes de l'herbe dans la chaleur de l'été
et
puis attendre que l'oiseau se décide à chanter
Si
l'oiseau ne chante pas
C'est
mauvais signe
signe
que le tableau est mauvais
mais
s'il chante c'est bon signe
signe
que vous pouvez signer
Alors
vous arrachez tout doucement
une
des plumes de l'oiseau
et
vous écrivez votre nom dans un coin du tableau.
Dieser Morgen ist so beschaffen, daß ihn das bloße Verrinnen der Zeit nie veranlassen wird heraufzudämmern. Das Licht, das unsere Augen erlöschen macht, ist Dunkelheit für uns. Nur der Tag bricht an, für den wir wach sind. Noch mancher Tag harrt des Anbruchs. Die Sonne ist nur ein Morgenstern. Henry David Thoreau aus: Henry David Thoreau, Walden oder Leben in den Wäldern, Diogenes Verlag, 2015, Zürich
Im Traum sah ich die Liebste, mit bloßen Brüsten, so, von der Taille nach oben wie ein Mond zwischen Wolken geht sie dahin. Sie geht, ich gehe, ich bleibe stehen, sie auch, ich schaue sie an und sie mich. Tränentropfen fallen auf Telegrafendrähte. Drähte: Nachricht, Tränen, Freude. Ein glücklicher Traum, das muß reichen. Ibrahim hat noch zehn Jahre Knast. Nâzim Hikmet aus: Nâzim Hikmet, Die Namen der Sehnsucht, Ammann Verlag, 2008, Zürich
Auf der Hundestraße traf meine Seele mein Herz. Am Boden zerstört, aber lebendig, verdreckt, verlottert und voll der Liebe. Auf der Hundestraße, dort, wo niemand laufen mag. Einer Straße, wo nur die Dichter unterwegs sind, wenn nichts mehr zu tun bleibt. Ich aber hatte noch so viel zu tun! Und dennoch: Da war ich, ließ mich töten von den roten Ameisen und auch von den schwarzen, unterwegs in den verlassenen Dörfern: Angst und Schrecken aufgetürmt bis zu den Sternen. Ein Chilene, aufgewachsen in Mexiko, hält alles aus, fand ich, aber das war nicht die Wahrheit. In den Nächten weinte mein Herz. Fluss des Seins, so sprachen ein paar fiebrige Lippen, die ich später als die eigenen identifizierte, Fluss des Seins, oh, Fluss des Seins, Ekstase, die sich an den Ufern dieser verlassenen Gefilde einschmiegt. Philosophen und Theologen, Seher und Wegelagerer tauchten auf wie wässrige Wirklichkeiten in einer aus Metall. Nur aus Fieber und Dichtung entstehen Visionen. Aus Liebe und Gedächtnis. Nicht aus jenen Wegen, Ebenen. Jenen Labyrinthen. Und meine Seele traf am Ende auf mein Herz. Das war krank, ja, ja, aber lebendig. Roberto Bolaño aus: Roberto Bolaño, Die romantischen Hunde, Hanser, 2017, München
Zusammen halten, verdichten, Zeichen deuten, üben, wie man beschützt, was man liebt, vor falscher Nähe, vor ihrer Rauheit und Schärfe, aber auch nicht vor der entmutigenden Tristesse der echten. Es bedarf nicht viel, die alte Heroldsregel der 200 Schritte anzuwenden: Hängen Sie Ihren Entwurf des Wappens der Liebe draußen an einen Baum, gehen Sie exakt so viele Schritte zurück, als nötig sind, um Sehnsucht zu spüren, und mit weit aufgerissenen Augen wenden Sie sich dort um. Orsolya Kalász aus: Orsolya Kalász, Das Eine, Brüterich Press, 2016, Berlin