... salut de nouveau

Wieder auf Reisen.
Du fragst oft nach mir.
Ich telephonier
noch vorm Zubettgehen mit dir.


Freu mich auf den Moment,
wenn ich steh in der Tür,

und du läufst mir jauchzend entgegen.

...

Und dann öffne ich meine Arme für dich.
Ja, dann öffne ich meine Arme für dich!


Dann öffne ich meine Arme, Gerhard Schöne (1992)


Mittwoch, 31. Oktober 2012

Saint-Gilles

   Ein verlorenes Dorf? Eine verlorene Stadt? Am Rande der Camargue? Staubig, schlampig, einer jener Provinzorte, in denen Simenon einen grauenhaften, aber wohldurchdachten Mord stattfinden läßt. Pharmacie, Alimentation, Tabac, das Mahnmal von 1914-18 mit all den Namen, und darunter 1940-45, viel weniger Namen, aber noch immer die gleichen. Im Krieg zu fallen ging früher in Europa vom Vater auf den Sohn über.

Nein, hier fehlt nichts. Die alte Jungfer in Schwarz, die beim Roßschlächter hundert Gramm Herz für ihre Katze holt, der abgeblätterte Putz der Häuser, in denen unsichtbare Leben verrinnen, die Platanen, die vom Mistral jedes Jahr um eine unsichtbare Winzigkeit weiter zur Erde gebeugt werden, dort aber nie ankommen werden, weil vorher die Welt untergegangen ist, und das zu Recht.

Und mittendrin steht, unerwartet, einer jener Spiegel, die Menschen errichtet haben, um sich selbst zu erkennen, ein Theater aus Himmel und Hölle, Gut und Böse, die Fassade der Kirche von Saint-Gilles. Gute siebenhundert Jahre alt und noch immer gültig. Ich erinnere mich, daß ich auf sie zuging wie eine Katze aufs Fressen, fast nichts sehend, um einfach mittendrin anzufangen, und das war rechts vom Portal, über dem ein Christus ohne Gesicht das All im Triumph durchpflügt, umgeben von den Symbolen der vier Evangelisten: dem geflügelten Mann, dem Adler, dem Ochsen und dem Löwen. Bilderstürmer sind hier am Werk gewesen, doch mit Hilfe dessen, was man von der romanischen Kunst weiß, kann man sich die Gesichter und die Attribute dazudenken, und andererseits macht gerade ihr Fehlen dieses versteinerte Universum so unendlich geheimnisvoll.

[…]

Cees Nooteboom, Die Kunst des Reisens, Schirmer / Mosel Verlag, 2004, München