... salut de nouveau

Wieder auf Reisen.
Du fragst oft nach mir.
Ich telephonier
noch vorm Zubettgehen mit dir.


Freu mich auf den Moment,
wenn ich steh in der Tür,

und du läufst mir jauchzend entgegen.

...

Und dann öffne ich meine Arme für dich.
Ja, dann öffne ich meine Arme für dich!


Dann öffne ich meine Arme, Gerhard Schöne (1992)


Samstag, 27. Oktober 2012

Von Lorca nach Úbeda / Träume eines Nachmittags I


    Kalkiger, versteinerter Boden, eingestürzte Schuppen aus Lehm, Felder mit gebleichten Weizenstoppeln, zerklüftete Berge in der Ferne, Stunden, in denen man kaum jemand sieht, wenn man anhält, hört man die Stille rauschen. Wage es keiner, von Eintönigkeit zu sprechen, denn noch am selben Tag sieht man Bahnen aus purem Gold, die sich bis zum Horizont erstrecken, sieht man, wie Stiere sich an sumpfigen Ufern suhlen, sieht Oasen mit kleinen Gehöften, die so weiß gekalkt sind, daß man ohne Sonnenbrille nicht hinschauen kann, der Weg, den man fahren muß, besteht aus närrischen Schlenkern zwischen Hunderttausenden vo Olivenbäumen, der Traum eines Verrückten, wenn man hier lange genug fährt, ist man dankbar für ein Getreidefeld oder eine einzelne Pappel. Wer hier lebt, muß diesen Landschaften so verlfallen sein wie der Seemann dem Meer, nach Stunden kann man es fast nicht mehr aushalten, die Hitze verstärkt die Ekstase noch, Disteln benehmen sich wie Orchideen, und gerade, als man glaubt, das Auge könne soviel Leere nicht mehr ertragen, passiert es: Der Weg, dem man, links und rechts begleitet von festungsartigen Tafelbergen, stundenlang gefolgt ist, macht eine schwache Biegung, die Landschaft verändert sich, der Weg senkt sich zu etwas hinab, das ein Tal sein muß, dessen Fluß jedoch tief versteckt oder eingetrocknet ist. Die Augen schmerzen bereits seit Stunden vom Licht, der Boden, dessen Farben man nicht mehr benennen kann, weil man es schon zu oft versucht hat, der aber jedenfalls die Farbe von Erde hat, weil die Verlockung anderer, wollüstigerer Farben durch die Art des Ortes oder der Jahreszeit entfallen ist, scheint nach allen Richtungen hin weiterzugehen, soweit das Auge reicht. Und dann, erst noch wie eine Form der Landschaft selbst, dann wie ein vorzeitliches großes, totes Ding, liegt irgendwo auf einem Hügel oder an einer Bergwand, getarnt mit den Farben der Gesteinsart ringsum, eine Burg, ein Kastell, ein Fort, geöffnet von Wind und Zeit, kahl, ausgehöhlt, oder verschlossen, ohne Zähne und Augen, so undurchdringlich wie das Gesicht eines Toten. Sie sind zu groß für unser Maß, in ihrem Umkreis ist kein oder fast kein Leben, das sie rechtfertigt, es sind Relikte aus einer Zeit, in der die Menschen viel größer gewesen sein müssen, aber das waren sie nicht.

Cees Nooteboom, Die Kunst des Reisens, Schirmer / Mosel Verlag, 2004, München