... salut de nouveau

Wieder auf Reisen.
Du fragst oft nach mir.
Ich telephonier
noch vorm Zubettgehen mit dir.


Freu mich auf den Moment,
wenn ich steh in der Tür,

und du läufst mir jauchzend entgegen.

...

Und dann öffne ich meine Arme für dich.
Ja, dann öffne ich meine Arme für dich!


Dann öffne ich meine Arme, Gerhard Schöne (1992)


Donnerstag, 27. Dezember 2012

Bücher


Die Situation ist unklar. Ein kleiner Tisch in strömendem Wasser. Wenn seine Beine von normaler Länge sind, kann das Wasser nicht tief sein. Ein breiter Bach oder eine überflutete Stelle. An den kleinen Wellen und Wirbeln sieht man, dass es schnell fließt. Hinter dem Tisch so etwas wie ein Ufer, dann ein dunkler Hintergrund, eine Felswand oder ein bewachsener Hang. Der Tisch ist aus Metall, Platte und Beine sind aus dem gleichen glänzenden Material, modern, alles leicht erkennbar. Er gehört nur nicht ins Wasser, und das schon gar nicht, weil Bücher auf ihm liegen. Menschen sind nirgends zu sehen, ich bin hier der einzige.
Was für Bücher es sind, kann ich nicht sagen, sie liegen geschlossen da, nur der untere Schnitt ist sichtbar. Keine Rücken, keine Buchstaben. Sie sind nicht neu, die Bücher. Sie sind übereinandergestapelt, aber dennoch auch kreuz und quer. Wenn sie lange so liegenbleiben, werden sie feucht. Wem gehören sie? Wer hat sie dort gelassen?
Es könnten Registerbände sein, aber auch Anthologien, Lehrbücher, Abhandlungen, Meisterwerke. Weil sie durcheinanderliegen, kann ich sie nicht richtig zählen, es müssen ungefähr dreißig sein. Wenn ich lange schaue, wird es unbehaglich. Bücher wollen etwas von Menschen, das wollen sie immer, selbst wenn sie geschlossen sind. Ich weiß, dass die Bücher dort im Bach Titel haben, ich weiß, dass die Seiten mit Millionen von Zeichen bedeckt sind, die ich lesen kann, aber ich komme nicht dran. Es sind dicke Bücher, unendlich viele Worte müssen darin stehen, die etwas erzählen oder darlegen wollen, die die Gedanken derjenigen ausdrücken, die sie geschrieben haben. Außer dem strömenden Wasser gibt es zunächst kein eindeutiges Geräusch, dann aber höre ich unter dem leisen Rauschen ein langsam drängender werdendes wütendes Murmeln, als sänge ein Chor mit zusammengebissenen Zähnen, ein atonales, bösartiges Summen, das keine Bedeutung preisgibt, ein erstickendes Lamento aus Druckerschwärze und Papier, das Geräusch, das Bücher machen, wenn sie wissen, sie werden verbrannt oder ertränkt, die Trauer um das, was nie mehr gelesen wird. 

Cees Nooteboom, Briefe an Poseidon, Suhrkamp Verlag, 2013, Berlin



I'm tired
I'm weary
I could sleep for a thousand years

The Velvet Underground / Venus in Furs
(M an  L - 
Take your time, I won't wait.)