Er
ist den ganzen Tag durch die schwitzende Stadt gelaufen und wie ein
Maulwurf in die U-Bahn hinein und hinaus, immer blinder ins Licht
blinzelnd, wenn er wieder nach oben kam. Er hatte kein Ziel, die
Stationen hatte er willkürlich gewählt, Straßen mit hohen und
niedrigen Nummern, Plätze in vergessenen Vierteln, verfallene Parks
mit zerstörten Schaukeln. Überall ist er umgeben von anderen
Menschen, die endlosen Reihen ihrer Gesichter hat er für später
eingespeichert, wenn er wieder allein sein wird. Er ist einer Frau
mit einem Hund gefolgt, der nicht in Städte gehört. Als sie
hinter einer farblosen Haustür verschwanden, hatte der Hund ihn
lange angesehen, wie ein Hund einen Menschen nicht anzusehen hat.
Auch ihn mußte er also bewahren. Mit dem Fortschreiten des Tages
sieht er, wie die Gesichter sich verändern, unerkennbar werden. Er
überlegt sich, wie das bei ihm selbst ist, wagt sein Gesicht jedoch
nicht zu berühren und weicht seinem Blick in den Schaufenstern aus.
Als er zum letztenmal in der verformenden Nacht nach oben steigt,
hört er, wie sie ihm folgen, wie nah sie schon sind. Das leise
Ticken ihrer Nägel klingt wie eine immer schneller laufende Uhr.
Cees
Nooteboom, Selbstbildnis eines Anderen, Suhrkamp Verlag,
1996, Frankfurt am Main
Für
Katharina, heute, an meinem Tauftag.
L.